Seitenblicke ins Katholische.
Neue Erfahrungen mit der Kirche

Vortrag in der evangelischen Erlöserkirche Lüdenscheid am 13.6.2022
(gekürzte Fassung)


6.
Liste von Eigenschaften und Haltungen für die zukünftige Kirche – vermutet, oder erhofft


a.
Gott zuerst! Das Evangelium hat Priorität. (Bei der neuen Kurienreform in Rom ist das Dikasterium (Ministerium) für Evangelisierung an die erste Stelle gerückt; der bisherige Spitzenreiter – für Glaubenslehre und Doktrin – landete an dritter Stelle.) Hoffentlich hört die derzeitige Herrschaft der Betriebswirte auf, die das Tempo der Schrumpfung ökonomisch bestimmen, und auch die der Doktrinäre, die immer nur sagen: Geht nicht! Ist gegen die Doktrin.
Der Glaube an Gott ist die Wurzel und der Stamm, und die Früchte sind Nächstenliebe und soziales Engagement. Die Caritas bleibt immer plausibel und sozial einleuchtend (auch für die Politiker!) Aber: – was wird mit den Früchten, wenn Wurzel und Stamm verkümmern?

b.
Gott bei den Menschen. Im Menschen begegnet er uns. „Der Mensch ist der bevorzugte Ort der Gegenwart Gottes.“ (Leitbild im katholischen Klinikum Bochum)
Oder: „Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt.“ (Josef Beuys): Unterwegs sein, Abschiede, fremd sein, warten.
Die Sakramente sind nicht exklusiv Orte Gottes („Gott kommt im Hochamt, hauptsächlich da, vor“). Die Kirche ist sakramental, indem sie die Welt als Ort Gottes deutet und bewusst macht. „Die Welt ist unsere Gemeinde.“
Beispiel: Ich habe viel Kontakt mit den Eritreern Lüdenscheids, habe mich weltlich gekümmert (Wohnungen besorgt, Möbel mit LKW gefahren etc.) – da war für mich Gott immer dabei – auch wenn von ihm kaum die Rede war.

c.
Das Weizenkorn stirbt - und bringt reiche Frucht (Joh 12,24).
Eine Nonnenoberin sagte: Wir haben unsere Zeit gehabt und sind dankbar dafür. Jetzt braucht die Kirche und die Welt neue Formen.
Es stirbt eine alte Form. Man muss Abschied lernen, wenn die alte Form nicht mehr zu füllen ist – Abschied vom Liebgewordenen, von vielen Kirchgebäuden etc. Man muss das Kleiner und Ärmer Werden annehmen und bejahen und mit vielleicht leeren, aber bereiten und zupackenden Händen das Neue ergreifen – wer alles gibt, hat die Hände frei.

d.
Man soll sich nicht dem „Zeitgeist“, dem Nur-Modischen ausliefern. Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird schnell zum Witwer“. Aber „die Zeichen der Zeit“ müssen wir erkennen und deuten, in denen Gott in die jeweilige Zeit hineinspricht. Gott spricht nicht nur in der Bibel und der Tradition der Kirche, sondern auch in der Geschichte! Kairos: die Zeit kann reif sein z.B.
- für die Menschenrechte (Aufklärung),
- für den Schutz von Minderheiten – eine Aufgabe, die noch vor Jahrzehnten „nicht anstand“,
- für die Bewahrung der Schöpfung (vor einem Jahrhundert kaum ein Thema!),
- heute besonders für die Gleichstellung der Frau (kommt in der Vorbereitung der Weltbischofssynode aktuell als wichtiges Anliegen vor.)

e.
Die Kirche soll sich, gerade in der Krise, nicht in eine Selbstbezogenheit verrennen und nur um sich selber kreisen. Sie wird Demut lernen, Ehrlichkeit, Einfachheit, Gastfreundschaft, einen deutlicheren Blick für die Armen, für die Einzelnen. Weniger soll es geben an Institution, an Behörde, an Kirchenbetrieb, an Finanzen, und keinen Klerikalismus.

f.
Diaspora ist unser Platz. Die ehemalige DDR mit ihren Verhältnissen könnte uns zeigen, was uns erwartet. Vielleicht ca.15 - 20% werden in 20, 30 Jahren noch Christen sein? Wer sich darauf einstellt, sollte nicht den Rückzug in die „kleine Herde“ (Sektenmentalität) suchen, sondern die Rolle der „abrahamitischen Minderheit“ mit starker Aufbruchskraft.
Beispiel: In Altena gibt es ein gutes Dutzend Christen, die im Advent, zur Fastenzeit, in der Pfingstnovene etc. geistliche Morgenimpulse sprechen und über Whatsapp an andere verschicken.

g.
Jesus hat seine Botschaft verkündet, aber keine flächendeckende Struktur der Pfarreien geschaffen. Nicht immer wird die Kirche „im Dorf bleiben“. Und die Gemeinden vor Ort werden nicht die einzigen Orte des Evangeliums sein. Schon immer gab es auch die „Kategoriale Seelsorge“ – etwa in Krankenhäusern.
Kleine „geistliche Zentren“ könnten dazu kommen, wie sie etwa Pfarrer Rose in Mariawald in der Eifel erhofft. Die zukünftige Kirche wird sein eine Mischung aus Vertrautem und neuen Räumen der Erprobung.

h.
Wichtig ist die Suche nach einer neuen Sprache, die nicht „ausgelutscht“, formelhaft und langweilig ist, („reden so bildhaft und alltagsnah wie der Chef, wie Jesus!“) und nach neuen Zeichen und Symbolen.
Beispiel: Erzählung von einer Verstorbenen, die dankbar das Leben genoss und sehr begeisterungsfähig war. Die Beerdigung im kleinen Kreis endete am Grab mit einem kleinen Gläschen Wein und einem Hoch auf die Tote und auf das Leben.

i.
Für die katholische Kirche wichtig:
- mehr dezentral und synodal: es muss nicht alles in Rom entschieden werden. Die einzelnen Länder können auf der Basis eines Grundkonsenses verschiedene Wege gehen.
- Geschlechtergerecht. Frauen können in der Kurie fortan auch Chefinnen eines Dikasteriums (Ministeriums) werden. Es kommt auf die Kompetenz an, nicht aufs Geschlecht.
- Die Debatte um das Priestertum der Frau wird drängender werden. Polarisierungen und verschiedene Tendenzen sind auszuhalten, aber die Beteiligten bleiben hoffentlich im Gespräch – und „in einem Boot“.

j.
Die ökumenische Ausrichtung wird viel enger: gemeinsames Abendmahl, gemeinsame Nutzung von Gebäuden und Kirchen, gemeinsamer Religionsunterricht, gemeinsame Kirchentage etc. Eine Weggemeinschaft, „Fratelli tutti“, wie Papst Franziskus schreibt.

k.
Die „neue Kirche“ - Eine Erfahrung, gelesen bei Andrea Schwarz :
Ein Missionar aus den Philippinen erzählt: Er hatte einen Termin in einer weiter entfernten Pfarrei, in einer ihm unbekannten Stadt. Bis er dort ankam, war es dunkel geworden, und er konnte nirgendwo einen Kirchturm oder eine Kirche entdecken. So fragte er schließlich an einer Tankstelle nach dem Weg. Der Mann an der Kasse dachte nach und sagte dann: „Die Kirche? Die ist heute Abend bei Jose.“(Andrea Schwarz, Leben – was sonst, S. 138)
Könnte es sein, dass das die Kirche der Zukunft ist? Keine Kathedralen, keine großen Zentren.
Kirche: Menschen, die von der Botschaft erfüllt sind und ihren Glauben zu leben versuchen. Und zusammenkommen, wenn es sein muss, auch in einer Garage.
Im himmlischen Jerusalem (Apk 31) braucht es auch keinen Tempel mehr. Denn Gott wird in ihrer Mitte sein. Kirche ist nur Mittel zum Zweck, ist der Weg. Das Ziel ist das Reich Gottes.



7. Schlussbild – eine Hoffnungsfigur: Andreas Knapp