Kleine Meinungsumfrage
Predigt am 15.09.2024
Unser heutiges Evangelium beginnt mit einer kleinen Meinungsumfrage. „Für wen halten mich die Menschen?“, fragt Jesus unterwegs seine Jünger. Gute Frage! Wir haben früher nach der Messe auch manchmal solche Befragungen gemacht. Die schönste Antwort, an die ich mich erinnere, war:
„Was ich von Jesus halte? Dass er mich hält!“
Die Jünger damals stecken ihn in bekannte Schablonen: Jesus, Du erinnerst die Leute an Johannes den Täufer, an Elia oder sonst einen Propheten. Du bist einer von ihnen. Also nicht: Du bist unvergleichbar. Du bist einzigartig. Man kann dich gar nicht beschreiben.
Übrigens machen es die Leute von heute nicht anders. Eine große Kirchenumfrage der letzten Zeit ergab, dass etwa zwei Drittel der katholischen Kirchenmitglieder nicht an die Auferstehung glauben, oder dass Jesus Gottes Sohn ist. Zwei Drittel! Die Leute schätzen Jesus durchaus, aber denken
ihn in modernen Schablonen, etwa so: Menschenfreund. Weiser Lehrer. Sozialreformer. Großer Therapeut und Heiler. Prophetischer Charismatiker. Friedensaktivist. Prediger der Gewaltlosigkeit und Feindesliebe. Justizopfer am Kreuz.
Das alles war Jesus auch. Aber sein „Kern“, sein „Wesen“, das ganz Besondere an ihm ist damit noch gar nicht berührt.
Die Leute gehen gern dem aus dem Weg, was sich nur schwer definieren und einordnen lässt. Was uns übersteigt. Was unsere Schablonen und Kategorien sprengt. Sie ersehnen es vielleicht, aber sie trauen sich nicht heran. An das Geheimnis. An das Unsagbare, an das Göttliche. An Gott. Und darum:
weithin großes Schweigen im Walde.
Anders: Petrus. Er bekennt lauthals und deutlich: Du, Jesus, bist der Christus! Das, was uns übersteigt, umgeht Petrus nicht. Er macht keinen Bogen drumherum. Petrus spricht klar aus, dass Jesus, dieser junge Mann aus Nazareth, zugleich Sohn Gottes ist, Wort Gottes in Sandalen, die
Liebe Gottes in Person, mit Haut und Haar, mit Hand und Fuß. Die Kirche steht fest auf diesem Grund: Ja, so ist das. Ja, so ist Er. Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. In jeder Messe schließen wir Christen uns im Credo dieser Sicht an, die da – bei Petrus – erstmals zum
Ausdruck kommt.
Hier könnte unser heutiger Text eigentlich schon zu Ende sein; er hätte schon genug Inhalt, nämlich ein Glaubensbekenntnis in einem einzigen kurzen Satz. Und dann trauen wir unseren Ohren kaum: Jesus fährt den Glaubensbekenner Petrus schroff an, nennt ihn einen Satan („Tritt hinter mich,
du Satan!“) und wirft ihm vor: „Du hast nicht im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen!“ Denn Petrus kommt nicht damit klar, dass Jesus sein Leiden und seinen Tod ankündigt. Petrus denkt wahrscheinlich: Sohn Gottes – das bedeutet Glanz und Gloria, Pauken und
Trompeten. Ein strahlender Held ist das, der eine Siegergeschichte schreibt. Der ein Reich gründet! Ein Wunschtraum!
Aber Jesus redet von Leid und Kreuz und Tod.
Jesus sagt sinngemäß: Täuscht euch nicht! Es gibt eine Seite an mir, die ihr nicht kennt. Aber ihr sollt sie wissen: Ich bin nicht der immer Starke – und will es auch nicht sein. Ich bin nicht der Mann in Glanz und Gloria. Ich bin auch nicht der Macher, der alles in der Hand hat.
Ich bin ganz anders: Ich bin auch ohnmächtig und habe mein Leben nicht in der eigenen Hand. Ich kann nicht schalten und walten, wie ich will. Man wird mir übel mitspielen – und ich werde mich nicht wehren.
Diese Seite an mir werdet ihr kennenlernen müssen. Und dann kommt es darauf an: Wollt ihr mich dann weiter kennen? Werdet ihr bei mir bleiben? Oder geht ihr weg? Das sage ich euch ganz klar: Ich brauche keine Fans und Bewunderer. Was ich brauche, sind Mitgeher. Die auch dann zu mir stehen,
wenn ich schwach und wehrlos und ohnmächtig bin. Und die bereit sind, selbst einen solchen Weg zu gehen.
In der Sprache Jesu: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.
Ich glaube, dass Jesus in dieser Stunde sehr fremd, sehr einsam und unverstanden war. Wer ihm nachfolgen will, trifft auf einen Menschen, der ganz andere Schwerpunkte setzt als der Rest der Welt, damals wie heute.
Die Welt fragt: Wer ist im Ranking ganz vorne? Wer ist der Größte, wer ist die Schönste? Wer hat das Sagen und überstrahlt alles? So viel Bemühen, das eigene Image zu verbessern, überall gut anzukommen, sich selbst zu optimieren. So viel Anstrengung, das Blaue vom Himmel zu versprechen. So
viel Selbstbehauptung und Siegerpose.
Das Gegenteil bei Jesus: Ich gebe mein Leben hin. Für die anderen. Tut ihr es auch. Ich stehe ein für die Liebe. Ich nehme die Leiden an und weiche nicht aus. Ich suche nicht mich, sondern den Vater – Gott – und die Menschen.
Kein Wunder, dass Jesus Schwierigkeiten und Ablehnung erfuhr mit einem solchen Programm.
Kein Wunder, dass die Welt langsam zugrunde geht mit ihrem Programm.
Ein Wunder aber, wenn Menschen – suchend und nachdenklich – auf den Weg Jesu setzen. Und dabei nicht nur Kreuz und Leid, sondern den Himmel erfahren.