Öffne dich!
Predigt am 08.09.2024
Jesus heilt einen Taubstummen: Er sagt zu ihm: Effata! – ein aramäisches Wort steht da im griechischen Text, das bedeutet „Öffne dich“!
Vor Jahren lief ein eindrucksvoller Film aus Frankreich: „Schmetterling und Taucherglocke“- nach einer wahren Begebenheit. Ein erfolgreicher Journalist war die Hauptperson, der durch einen Schlaganfall
fast alles verloren hatte: er war am ganzen Körper gelähmt, konnte sich nicht mehr bewegen und nicht mehr sprechen - bei vollem Verstand und intaktem Gefühlsleben! Er war in seinem Körper wie gefangen.
Das Einzige, was er noch bewegen konnte, war das linke Augenlid. Eine Therapeutin erkannte das und schlug ihm vor: Einmal mit dem Augenlid zucken bedeutet der Buchstabe A, zweimal B, dreimal C usw. Mit
einer unglaublichen Geduld ließ sie sich auf diese Weise ein ganzes Buch von ihm diktieren, in dem er seine Gedanken und inneren Erfahrungen beschrieb. Da war also einer körperlich durch den Schlaganfall
völlig „zu“, aber durch den Einsatz eines anderen Menschen so offen, dass er sich in einem Buch mitteilen konnte.
Es ist – ein wenig – auch unsere Geschichte: Wir können manchmal taub und blind und stumm sein, aber dann ist eigentlich unser Herz damit gemeint. Das Herz ist taub oder blind. „Mit dem Herzen müssen
wir hören, sonst sind alle Wörter nur Geräusch. Von Herzen müssen wir sprechen, sonst sind alle Wörter nur Geschwätz“, schrieb Papst Franziskus. Unser Herz ist gemeint, wenn Jesus sagt: Effata - öffne
dich!
Offensein und Verschlossensein. Es ist wohl so, dass diese Spannung unser ganzes Leben begleitet. Es ist so wie im alltäglichen Leben - da öffnen wir Fenster und Türen, Schränke und Schubladen. Und
täglich verschließen wir sie wieder und wieder.
Wer vergeblich an eine verschlossene Tür klopft, ist enttäuscht. Verschlossene Fenster schützen zwar vor Durchzug, aber frische Luft gibt es nur bei offenem Fenster.
Effata…! Wie gut tut es, einem offenen Blick zu begegnen - auch hier im Gottesdienst! Wie gut, ein offenes Wort zu hören und keine versteckten Anspielungen. Wie gut, eine offene Hand zu sehen. Nur eine
offene Hand kann sich einem entgegenstrecken. Nur eine offene Hand kann trösten, streicheln, empfangen – nie die geballte Faust!
Offen - das möchten wir wohl alle sein. Aber das ist mitunter sehr schwierig. Manchmal bin ich müde und überfordert und so gegen meinen Willen verschlossen: möchte keinen hören und sehen, alles stört
nur. Oder wenn ich verärgert und durch Wut blockiert bin, dann stehe ich da mit verschränkten Armen und verkniffener Miene. Dann könnte ich es gut gebrauchen, wenn mir einer den Effata-Impuls von Jesus
weitergäbe und an mein Herz brächte: Öffne dich!
Es gibt offensichtlich so viele Gründe, verschlossen zu sein. Man will sich schützen und „macht zu“. Man ist enttäuscht und verbittert und zieht sich zurück. Trauer, Ratlosigkeit, Verzagtheit können
Wände aufrichten, hinter denen einer verschwindet. Angst kann so verschlossen machen, dass einer wie gelähmt ist. Die täglichen Anstrengungen können so erschöpfen, dass einer nicht mehr offen ist für das
Ungewohnte, das auf ihn zukommt.
Das alles gibt es ja nicht nur im privaten Leben, sondern auch im Leben der Gesellschaft und des Staates. Jetzt in den Wahlen wurde es ganz deutlich: Da fühlen sich große Bevölkerungsgruppen nicht mehr
angesprochen und verstanden. Sie ziehen sich zurück und schotten sich ab. Sie ziehen sozusagen wieder Mauern hoch. Lieber unter sich bleiben! Und bitte: keine Ausländer!
Auch gegen solche gesellschaftliche Spaltungen und Barrieren richtet sich das einladende, befreiende Wort Jesu: „Effata“ – öffne dich!
Aber das ist auch ein beunruhigendes Wort. Beunruhigend wie alles, was an den Nerv geht. Es gibt nicht nur die Sehnsucht, sich zu öffnen. Es gibt auch die geheime Angst, dass einem das nicht gut bekommt.
Sich öffnen: das ist ja auch ein Wagnis, ein Risiko. So sind wir manchmal seltsam geteilt. Wir spüren unsere Verschlossenheit und sind nicht glücklich mit ihr – aber ändern nichts daran.
Das Evangelium will uns aus unserer Verschlossenheit herausführen, hin zu Jesus – dem, der Menschen heil macht und keinen ausschließt.
Stumm und taub, in seiner völligen Stille und Isolation schaut der Mann im Evangelium Jesus an und hat nur einen Wunsch: Hilf mir! Jesus ruft ihm zu: Effata – Tu dich auf! „Er hat alles gut gemacht“,
sagen danach die Leute, die Zeugen der Szene.
Herr, sag das auch zu mir: Öffne dich! Du kennst mich ja so gut. Du weißt genau, wo ich schwerhörig bin und mich taub stelle – und wo ich tatsächlich nicht mehr höre. Du weißt genau, wo ich sprachlos
bin – und mich nicht traue, zu sagen, was ich fühle. Wo ich sprachlos bin auch zu Dir hin und nicht mehr bete.
Herr, sag auch deiner Kirche: Öffne dich! Öffne dich - für die Menschen, für die Du, Kirche, doch da bist; für die Nöte und Probleme, die die Herzen der Menschen heute beschäftigen. Und öffne dich immer
wieder neu für den, dessen Stimme auch heute zu uns spricht, der uns ruft – und in den tausenden Geräuschen und Stimmen der Welt sein Wort sagt: sein Evangelium.