Schlafen – und es wächst

Predigt am 16.06.2024

Fangen wir mit dem Schlaf an. Nicht mit dem Predigtschlaf (den gibt es ja auch!), sondern mit dem ganz normalen Schlaf mitten in der Nacht. Den brauchen wir, aber wir haben ihn nicht immer. Schlaflosigkeit ist eine der Leiden dieser Zeit. Ungefähr jeder dritte in unserem Land kann nachts nicht gut schlafen. Ich weiß selber, wovon ich rede! Die bewährten Hausmittel helfen meist nicht – z.B. „Schäfchenzählen“. Im Halbschlaf und „Einduseln“ verwandeln sich die Schäfchen gern in reißende Wölfe und rauben uns die Ruhe. Alle Probleme der Welt und des eigenen Lebens können hochkommen. Sorgen und Ängste haben in durchwachten Nächten sehr leichtes Spiel, alles kann zum Drama werden. Mein alter weiser Heimatpfarrer hatte schon Recht, wenn er immer wieder sagte: „Vertragt euch bis zum Abend. Die Sonne soll nicht untergehen über eurem Zorn!“ Denn in der Nacht kann jeder Konflikt zum Anfang des Weltuntergangs werden.

Die Komplet, das Abendgebet der Kirche, weiß von den Gefahren der Nacht und spricht Worte aus wie:
In Frieden leg ich mich nieder und schlafe ein,
denn du allein, Herr, lässt mich sorglos ruhen.

Oder:
Herr, auf dich vertraue ich,
in deine Hände lege ich mein Leben.

Ob mir und uns das möglich ist: so ein „Basisvertrauen“ als wirksames Schlafmittel? Gelassenheit? Zuversicht? Eine Grundzustimmung zum Leben, zu Gott, die uns hilft, die Sorgen in der Nacht auf Abstand zu halten?

Im Evangelium erzählt Jesus von einem Bauern, der tagsüber sät. Dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag (Mk 4,27). Der Bauer kann schlafen.
Ob das auch für Bauern heute gilt? So vieles kann den Schlaf bedrohen: Das Klima spielt verrückt, die Ausgaben und Steuern gehen hoch und die Einnahmen runter, neue EU-Richtlinien stehen ins Haus, und der Sohn will den Hof nicht übernehmen. Sorgen ohne Ende!

Damals drückten die Sorgen auch, in Israel. Auch da ging es ums Geld. Die meisten Bauern hatten das Land nur gepachtet. Es gehörte den Großgrundbesitzern, und die setzten den Pachtzins immer wieder hoch und trieben die Bauern in große Schulden. Vor allem die Psalmen sind voll von Klagen davon.

Also: Sorgen über Sorgen! Aber im Gleichnis Jesu kann der Bauer schlafen! Denn die Saat keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht. „Von selbst“ steht da, automatisch. Der Bauer muss gar nicht mit der Zange an der Saat herumzupfen, damit sie schneller wächst! Er kann das Wachstum nicht beschleunigen. Er kann nur geschehen lassen.

So also erzählt Jesus vom Reich Gottes wie von einer Saat, die still und leise und von selber wächst. Ja; das ist ein stilles und leises, vielleicht sogar langweiliges Bild – wo es doch heute immerzu geht um mediale Aufmerksamkeit, um die große Show, um Spannendes, noch nie Dagewesenes.

Andererseits: Gerade, weil es so hektisch immer aufs Tempo geht, suchen wir nach Hilfen, „damit unsere Seele nachkommen kann“. Was wird nicht alles angeboten, um Schlafstörungen zu vermeiden, den Stress abzubauen und sich zu entspannen? Es braucht solche Ruhepole für unsere Sinne, für unsere Seele.

Im Evangelium wächst die Saat von selber. Der Sämann muss zuvor säen, dann hat er Ruhe, erst bei der Ernte muss er wieder ran! So wie die Saat braucht das Gute Zeit, muss sich ruhig entwickeln – oft sehr langsam! Langsam – das ist nichts Negatives! Es kann sehr positiv sein! Langweilig ist das allerdings für viele, die eben sehr von der Hektik, dem Gasgeben und der Ungeduld geprägt sind.

Langsames ruhiges Heranreifen. So also sieht Jesus das Wachsen des Reiches Gottes. Und er empfiehlt die Haltung des Sämanns: Geduld, Gelassenheit. Vertrauen und Zuversicht.
Gewiss: Zuerst muss man etwas investieren. Das Gute kommt nicht einfach von allein. Es braucht uns, unsere Mitarbeit. Aber was daraus wird, können wir nicht einfach planen und machen und im Griff haben. Es braucht das Vertrauen, dass die ausgesäten Kräfte wachsen und sich entfalten. Ich muss es schon so machen wie der Sämann – etwa im Blick auf die eigenen Kinder: Ich muss säen und „ausstreuen“ – meine Liebe, meine Zeit, mein Vertrauen in sie. Ich werde das Ergebnis des Säens nicht sofort sehen. Ich werde vielleicht nichts zu ernten haben. Manche brechen in einer solchen Situation schnell ungeduldig ab. Sie möchten alles am liebsten sofort. Das ist so, als würde der Sämann sein Feld gleich wieder umpflügen, wenn er nicht schon am nächsten Tag die Saat sprießen und blühen sieht. Wir brauchen die Hoffnung und Zuversicht, dass Gott das Gute reifen lässt. Die Sorgen und Ängste dürfen diese Zuversicht nicht ersticken. Man muss noch schlafen können!

Ein gutes Abendgebet vor dem Einschlafen könnte das „Gebet der Gelassenheit“ sein:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Ja, der Schlaf ist ein schönes Bild: Ich komme zur Ruhe, und manches kann sich gut entwickeln, „wenn ich darüber schlafe“. Ruhe ist niemals vergeudete Zeit! Und das Reich Gottes kommt nicht als knallende Explosion daher, sondern im Wachsen und Reifen und in der Geduld. Gott ist der Großmeister der Geduld. Er ist es, der wachsen lässt – und das Gute vollendet.