Im Sportwagen, im Rollstuhl
Predigt am 02.07.2023
Bei diesem wirklich schwierigen Evangelium denke ich als erstes an einen kleinen Text von Lothar Zenetti, einem inzwischen schon verstorbenen Pfarrer aus Frankfurt:
Ich traf einen jungen Mann,
kerngesund, modisch gekleidet,
Sportwagen
und fragte beiläufig,
wie er sich fühle:
Was´ne Frage, sagte er –
alles Mist!
Ich fragte, ein wenig verlegen,
eine schwerbehinderte ältere Frau
in ihrem Rollstuhl,
wie es ihr gehe.
Gut, sagte sie, es geht mir gut!
Da sieht man mal wieder,
dachte ich bei mir,
immer hat man mit den falschen Leuten
Mitleid.
Ich kenne beide Typen – den ersten Typ etwas häufiger. Der zweite kommt seltener vor. Dem ersten Typ scheint es eigentlich ganz gut zu gehen. Er kann sich einiges leisten. Der Sportwagen wird erwähnt, und trotzdem: Er sagt: Alles Mist! Es gibt noch ein kräftigeres, häufigeres Wort, das ich
mir verkneife, weil wir hier in einem Gottesdienst sind, und das der Zenetti da eigentlich in seinem Text stehen hat. Das Lebensgefühl vieler! Auch derer, die scheinbar alles haben! Aber einiges fehlt, vielleicht ist die Freundin gerade abgehauen, beim Sportwagen ist eine teure Reparatur
fällig, etwas läuft schief, oft ist es langweilig, und der Typ Nr. 1 sieht nur, was fehlt, sieht nur die Defizite – das, was nicht oder noch nicht da ist. Und ist darum frustriert und unzufrieden. Eben: Alles Mist!
Anders, ganz anders die alte Frau. Statt Sportwagen – ein Rollstuhl. Gut, sagt sie, es geht mir gut! Sie redet nicht von dem, was ihr fehlt (Gesundheit), sondern von dem, was da ist: vom Leben. Ihr Blick auf das Leben ist dankbar. Trotz aller Behinderungen: Die alte Frau hat ihre Lage
angenommen. Sie trägt ihr Kreuz bewusst. Sie lebt im Einklang mit ihrer Lage. Sie weiß, wofür sie lebt.
„Da sieht man wieder, dachte ich bei mir, immer hat man mit den falschen Leuten Mitleid!“ Und das ist wahr: Vielleicht sollten wir unser Mitgefühl nicht klischeehaft auf die üblichen „Armen und Kranken“ richten, auf die alte Frau im Rollstuhl und alle, die wir der Caritas zuschieben.
Vielleicht sind die so erfolgreich und stark Wirkenden – im Sportwagen – oft „ärmer dran“, wenn sie innerlich leer und ausgebrannt sind und hinter der schönen Fassade nicht mehr los ist als „Alles Mist!“
Nun zum Evangelium:
Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren. Wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.
An einem solchen Satz kann man lange „herumkauen“ – er geht erstmal „gegen den Strich“. Ein paradoxer Satz! Ganz sicher ist darin eingeschlossen: Die Gewinn- und Verlustrechnung des Lebens richtet sich nicht nach dem Bankkonto, nicht nach dem Sportwagen, nicht nach dem Erfolg. Wohl auch
nicht nach unseren Vorstellungen vom Glück, harmonischen Beziehungen, größtmöglicher Entfaltung unserer Fähigkeiten – oder womit auch immer das Glück winken mag. Woran richtet denn Jesus die Gewinn- und Verlustrechnung des Lebens aus?
Ich taste mich weiter an das Evangelium heran. Mir fallen dabei unterwegs die Staatschefs ein, die uns Sorgen machen. America first, Amerika zuerst, heißt es da. Oder Russland zuerst. Und auch bei uns gibt es Leute, die sagen: Deutschland zuerst. Dagegen Jesus im Evangelium: Gott zuerst!
Vielleicht kann man den Kern des Evangeliums so beschreiben: Gott zuerst! Richte dein Leben so aus, dass die Worte und Werte Gottes Vorrang haben. So gewinnst du das Leben.
Meine Erfahrung mit mir selber ist, dass das leichter gesagt als gelebt ist. Dass Gott – auch in meinem Innern, dem eines Priesters – immer wieder ins Abseits rutschen kann! Das eigene Herz, das eigene Innere ist manchmal wirklich bedroht, ist zugestopft und zugemüllt mit Tausenderlei, mit
Ablenkungen, die sich alle wichtig nehmen, mit rastlosem Hin und Her und mit Bequemlichkeit. Gott zuerst? Vieles andere kommt dann zuerst. Aber ich spüre, wie leer einen das alles hält. Im Inneren ist dann die große Leere. Das ist wirklich „alles Mist“! Eines allerdings ist wohl immer da:
die leise und manchmal sehr deutliche Sehnsucht, aus dieser Leere herauszufinden, sich nicht in ihr häuslich einzurichten, sich nicht mit ihr abzufinden. Für mich ist das die Sehnsucht nach Gott, der die Leere des Herzens füllen kann. Und wenn Er das tut – er tut es immer wieder! – , dann
ist das für mich der größte „Gewinn“! Dann ist eigentlich „alles gut“, auch wenn noch so viele Probleme ungelöst sind! Dann wird Er zur „Mitte“ – und von ihm her klärt und fügt sich alles.
Aber was heißt: das Leben zu verlieren um Seinetwillen, um Christi willen? Die ersten Christen, die Jünger und Apostel, wussten es, erfuhren es hautnah. Unser heutiges Evangelium ist der letzte Teil der „Aussendungsrede“, mit der die Jünger losgeschickt werden. Manche Sätze daraus sind uns
wohl im Ohr: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Oder: Nehmt nichts mit, keine Vorratstasche, nichts! Oder: Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe! Oder: Ich bin nicht gekom-men, Frieden zu bringen, sondern das Schwert!
Ungemütliche Sätze, unheimliche Sätze! Wirklich: Jesus verspricht seinen Leuten nicht „das Blaue vom Himmel herunter“, er gaukelt ihnen keine Glücksverheißungen vor. Das macht seine Worte so ehrlich! Er kündigt ihnen Ablehnung, Schwierigkeiten und Verfolgung an.
Das Wunder ist: Sie bleiben dabei. Sie sagen nicht: Du kannst uns mal. Sie gehen in diese sperrige, gefährliche, widerständige Welt hinein – „um Seinetwillen“! – und gewinnen das Leben!
Gut, wenn wir das auch heute von uns sagen könnten: Wir gehen in diese sperrige Welt von heute hinein, trotz aller Kirchenaustritte – mit unseren Versuchen zu glauben, mit unserem oft so mutlosen Herzen und gewinnen: das Leben! Das Leben mit ihm – mit ihm, dem Mitgeher.
Papst Paul VI hat einen ebenfalls sehr paradoxen Satz gesagt: „Wenn es schwer ist, ein Christ zu sein – dann ist es leicht, ein Christ zu sein. Und wenn es leicht ist, ein Christ zu sein – dann ist es schwer, ein Christ zu sein!“
Ja, wenn unser Glaube herausgefordert wird und unser Widerstand nötig ist, dann ist es eigentlich leicht, wirklich ein Christ, nah bei Christus zu sein. Und wenn alles glatt und leicht und harmlos läuft und unser Christsein seicht vor sich hinplätschert – ganz ohne das Kreuz – , dann ist es
eigentlich schwer, wirklich ein Christ, ein Zeuge für Jesus zu sein!
Bitten wir Gott um die Kraft, unser Kreuz mit Christus zu tragen und so mit ihm auf dem Weg zu sein – auf dem Weg zum wirklichen Christen.