Pfingsten für Parther, Meder, Elamiter

Predigt am 28.05.2023


So wird es erzählt (Apg 2, 4-11): Die Jünger begannen in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. Die Menge war ganz bestürzt, denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Wir sind doch Parther, Meder, Elamiter – wir alle hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.

In Lüdenscheid haben wir viele Jahre lang die Pfingstmesse in zehn Sprachen gefeiert und anschließend bei einem Gemeindemittagessen die typischen Produkte der Landesküchen probiert – aus Polen, Italien, Frankreich, Kroatien, Togo in Afrika, Spanien, Portugal, Irak, Indien, und natürlich der unübertrefflichen Küche des Sauerlands! Man glaubt es nicht: Unsere Nachbarstadt Lüdenscheid hat Einwohner aus rund hundert verschiedenen Nationen. Statt „Parther, Meder, Elamiter“: Menschen aus El Salvador, Kamerun oder Eritrea. Wie kann man einander verstehen? Nun, ich habe in der Messe etwa die Fürbitte in der Sprache Ewe, der Hauptsprache Togos, nicht verstanden, aber gespürt, dass eine fremde und andere Kultur aus Afrika zugänglich ist für den Geist Gottes.

Der Heilige Geist ist vielsprachig, polyglott. Er kann sich in jeder Sprache und jedem Dialekt ausdrücken. Er bleibt nicht stecken in Jerusalem oder Rom. Gottes Geist geht nach draußen. Er überschreitet Grenzen. Er schenkt allen ein Zuhause – quer durch die Sprachen, Kulturen, Nationen, vielleicht sogar quer durch die Religionen.

Ein Erlebnis auf Reisen. Ich war in Guatemala und nahm teil an einer Messe in einem sehr abgelegenen Dorf in den Bergen. Das Auto quälte sich über Stock und Stein. Die Indigenas kamen zu Fuß auf Wegen, die durchaus drei Stunden dauern konnten. Sie waren in der Messe unter sich, in ihren bunten Trachten, und mit ihrer Stammessprache Kaqchikel – einer der 17 Sprachen, die die Einheimischen in dem nicht sehr großen Land Guatemala sprechen. Die Sprache soll extrem schwierig sein. Natürlich verstand ich nichts, kein Wort – und zugleich verstand ich alles! Ich verstand den Ablauf, die menschlichen Gesten, besonders den Friedensgruß, der wohl zehn Minuten dauerte: fast jeder mit jedem. Ich sah den tiefen Glauben in den Gesichtern, die Freude, aber auch das Leiden, die Armut und die Entbehrungen. Ich verstand die große Gemeinsamkeit des Glaubens und fühlte mich da in den Bergen und in der Abgelegenheit wirklich „zuhause“. Einer, der aus einer ganz anderen Welt kommt, fühlt sich sozusagen „adoptiert“ – fühlt, dass er dazugehört.

Aber meistens läuft es nicht so. Verstehen wird gar nicht versucht. In der Bibel gibt es die sehr alte Geschichte vom Turmbau zu Babel, die sozusagen ein Gegenbild zu Pfingsten liefert. Da wollen in Babel alle ganz hoch hinaus: Man will alles toppen, die Nummer Eins sein, die Karriere- und Einflussleiter immer höher hinauf. Ein unaufhörlicher Ego-Trip, am besten wie Gott selber sein: jeder ein Elon Musk. Das hat Eifersucht, Neid und Hass im Gefolge. Am Turm von Babel wird heute kräftig weitergebaut. Immer wieder stürzt er ein, reißt alles mit herunter, bringt alles durcheinander – ganz gewiss das Verstehen. „Diabolos“ ist das griechische Wort für Teufel – es ist der, der alles durcheinanderbringt, der das große Chaos schafft. Das ist „diabolischer“ Ungeist auch heute: alles durcheinanderbringen, Zwietracht stiften, Verstehen verhindern, das soziale und menschliche Klima vergiften.

Verstehen ist nicht einfach. Es sind ja nicht nur die fremden Sprachen. Es sind die unterschiedlichen Denk- und Lebensweisen – die Weisen, wie die Menschen „ticken“. Nehmen wir Mann und Frau. Der Humorist Loriot führt in einem Sketch einen ehelichen Dialog vor, lässt Mann und Frau völlig aneinander vorbeireden und endet mit dem lakonischen Schlusssatz: „Mann und Frau passen einfach nicht zusammen!“

Nehmen wir Jung und Alt. Das kann ein Gespräch wie unter Tauben sein. Ganz andere Welten stoßen aufeinander. Der Junge hört nicht, weil er gerade einen Kopfhörer im Ohr trägt – und der Alte versteht nicht, weil er tiefsitzende Vorurteile hat.

Nehmen wir unterschiedliche Fans. Schalke- und Borussiafans zusammen, AfD-Leute und Grüne, kirchliche Rechte und Linke. Wechselseitiges Verstehen? Wille zum Gespräch; zum Dialog? Wahrscheinlich nicht. Stattdessen eher ein Verhalten wie in Talkshows: Schlagabtausch, den anderen austricksen, Vorteile für die eigene Position nutzen. Ja, man pflegt das eigene Ego, man sucht Bestätigung für die eigene Sicht, lässt die andere Sicht nicht an sich heran. Man bleibt dann immer bei sich stehen.

Noch schwieriger: Arm und Reich. Europa schirmt sich ab, viele Flüchtende kentern auf den Schiffen im Mittelmeer, ertrinken. Verstehen? Eher Abwehrreflexe. Oft eher Unterwerfung oder Ignorierung fremder Kulturen. Das alles gehört zur Welt von Babel, gestern wie heute.

Gibt es einen Weg von Babel zum pfingstlichen Jerusalem? Einen Weg zum Verstehen?
Bausteine dieses Verstehens sind alle Versuche, sich auf die anderen einzulassen, sie zu besuchen, sie kennenzulernen. Was für Chancen liegen im Reisen! Wie gut, dass viele junge Leute eine Zeit lang in sozialen Projekten in Afrika oder Lateinamerika verbringen – als Lernende. Eine Studentin im Projekt Samenkorn in Guatemala, das von der Lüdenscheider Pfarrei unterstützt wird, hat das so ausgedrückt: „Man hat uns herausgefordert, mehr und mehr im Plural, in der Wir-Form zu denken und zu leben.“ Ein toller Satz! Nicht – wie üblich, nur an sich denken: Wie kriege ich eine Karriere hin? Wo liegen die Chancen und Vorteile für mich? Dieses Ich Ich Ich! Sondern: Wir. Das Wohl der anderen und der Gemeinschaft im Blick zu halten. Nicht nur: Was kann ich kriegen? Sondern mehr noch: Was kann ich geben? Die Wir-Form einüben, das ist der Weg in Richtung Verstehen.

In solchen Sätzen höre ich die Stimme Gottes heute heraus, spüre ich seinen Geist: den Geist, der lebendig macht. Lebendig sein verbinde ich mit Liebe, mit dem Miteinander und Füreinander. Tot sein verbinde ich damit, dass man am Egoismus, am „Zuerst ich“, am Besitzdenken, ersticken kann.

Noch immer schickt Gott seine Feuerzungen. Wo sie zünden, werden solche Sätze gesagt: „Wir wollen in der Wir-Form denken und handeln.“ Wir wollen lebendig sein, wollen verstehen, wir wollen zusammenhalten. Wir wollen Zeugen und Zeuginnen Gottes und seiner Liebe sein in dieser Welt.