Die Tür, die Jesus heißt

Predigt am 30.04.2023


In den zwei, drei Jahren der Coronazeit haben wir mit verschlossenen Türen gelebt. Am deutlichsten spürten das die Menschen in Altenheimen, Besuch war kaum erlaubt. Danach öffneten sich schrittweise die Türen, die bislang dicht waren. Und das Leben nahm wieder Fahrt auf.

Verschlossene Türen, verriegelt und verrammelt, erfreuen uns in der Regel nicht. Verschlossene Menschen, verschlossene Herzen auch nicht. Sie enttäuschen. Wir hätten anderes erhofft. Man kann zwar das Bedürfnis verstehen, sich mal zurückzuziehen, in Ruhe gelassen zu werden, zuzumachen, „abzuschließen“. Solche Phasen des Rückzugs brauchen wir. Aber das ist dann doch eher die Ausnahme.

Verschlossene Türen, das ist ansonsten: wie vor eine Wand laufen. Türen sind als Zugang, also „offen“ gedacht. Sie laden ein, einzutreten, eine Schwelle zu überschreiten. „Willkommen“, hängt manchmal ein Schild an der Tür. Tritt ein!
Aber es gibt da die Schwellenangst. Angst kann uns hindern, neue Räume des Lebens zu betreten. Wir bleiben dann vor der Schwelle stehen. Was erwartet uns hinter der Tür? Es lässt sich nicht kontrollieren! Und so steht dann Angst und Unsicherheit gegen Vertrauen. Die neuen Räume des Lebens werden gemieden.

„Habt keine Angst!“ Papst Johannes Paul II. rief das bei seiner Einführungsmesse als Papst 1978 mehrfach aus. „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Öffnet die Grenzen der Staaten, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht! Habt keine Angst! Christus weiß, was im Innern des Menschen ist. Er hat Worte des Lebens!“

Auch einer seiner Vorgänger, Johannes XXIII. liebte das Bild der offenen Fenster und Türen. Als ein Besucher ihn einmal fragte, was er denn mit seinen Konzilsplänen beabsichtige, öffnete er ein Fenster und sagte: „Frische Luft! Die Kirche braucht frische Luft!“

In unseren religiösen und biblischen Bildern geht es oft um Türen. Nehmen wir als Beispiel die Worte aus dem Adventslied: „Denn verschlossen war das Tor, bis der Heiland trat hervor…“ Ja, das ist eine leidvolle Erfahrung von Menschen, auch von gläubigen: unter einem verschlossenen Himmel zu leben. Wie klingt das konkret? Ich sprach einmal mit einem psychisch kranken, religiös durchaus ansprechbaren Menschen, der von Gott immer nur sagte: „Er bestraft mich. Ich habe so viel Mist im Leben gebaut, was kann Gott anderes tun als mich zu bestrafen?“
Sehen Sie, das ist die verschlossene Tür – eine solche Sicht von Gott!
Ich wollte den Kranken nun über die Schwelle locken. Die Schwelle, die Vertrauen heißt. Weg von einem Gott, der wie ein Staatsanwalt oder Gefängnisdirektor daherkommt („bestrafen“). Hin zu einem Gott, der Liebe ist, der als „Vater“ oder „Mutter“ angesprochen wird. Diesen Gott hat Jesus im Evangelium verkündigt, in Wort und Tat, mit Hand und Fuß und Herz. Das macht das Evangelium zur Frohen Botschaft und zum Gegensatz dessen, was Leute so gemeinhin über Gott denken. Als wäre das sein Job, die Bösen zu bestrafen und die Guten – uns – zu belohnen.

Und so erinnerte ich den Kranken an die Geschichte von der Ehebrecherin. Die Leute haben die dicken Steine schon aufgesammelt, um sie zu steinigen. Aber Jesus tritt ihnen entgegen: Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein! Da schleichen sie alle beschämt davon. Jesus und die Frau bleiben allein. Und die Frau bekommt zu hören: Ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von nun an nicht mehr!

Wir Menschen – alle, denen es Spaß macht, andere zu bewerten und zu verurteilen und Handlanger des göttlichen Scharfrichters zu sein, – wir können uns denn auch nur davonschleichen. Denn aus dem verschlossenen Tor trat der Heiland hervor –wirklich der Heiland, der Heilmacher, der göttliche Arzt. Einer, der Wunden verbindet und nicht schlägt. Einer, der über die Schwelle führt, in neue Räume des Lebens hinein. Räume, wo Menschen sich selber und dann auch andere – und in all dem Gott – lieben können. Räume des Willkommens, des Angenommenseins, der Vergebung, des Friedens. Räume, die wir immer ersehnt haben – und vielleicht dann doch nicht begehen. Weil alte Muster und Bilder in uns nachwirken und weiter herumspuken.
Das sind keine Softiesprüche, das ist das Evangelium! Wenn wir es doch annehmen können – in Freude, im Vertrauen! Und vom heimlichen Misstrauen gegen Gott befreit werden, von der Angst vor ihm, von dem Leistungsdenken, das sagt: Du genügst nicht, du bist vor Gott nicht gut genug.

Heute wird im Evangelium das Bild des guten Hirten erzählt. Seine Stimme kennen die Schafe: diese Heilandsstimme. Eine Stimme, die einlädt, die nicht zwingt, die wirbt und lockt – hin zum Guten, hin zu Gott. Eine Stimme, die durchtränkt ist von Liebe. Und dann endet Jesus mit einem Bild, das alle diese Gedanken zusammenfasst: Ich bin die Tür!

Diese Tür möchte ich durchschreiten, immer wieder. Über die Schwelle möchte ich treten und das von Jesus verheißene Neue erfahren – heiles, versöhntes Leben. Auch über die letzte Schwelle, die des Todes, möchte ich einmal treten können, ohne bodenlose Angst. Aber jetzt schon, hier in diesem Leben, die Türen offenhalten – offen für andere. In ihnen begegnet uns der göttliche Türöffner.