Christus im Eisblock

Osterpredigt 09.04.2023


Der kalte Winter liegt hinter uns. Der Frühling hat das Ruder übernommen, Gott sei‘s gedankt! Da kann man gut Ostern feiern – denn Ostern und Frühling weisen in die gleiche Richtung: Neues Leben.

Ein Bild, auf das ich vor zwei Wochen stieß, zeigt das sehr deutlich. Der Schweizer Künstler Hans Thomann hat dem Bild den Titel COOL gegeben. Cool, kalt. Nicht mit der modernen Nebenbedeutung: Ey, das ist „cool“, das ist interessant. Nein, einfach nur: kalt. Eisig kalt.
Fassen wir einen Toten an, dann spüren wir die Kälte. Leben dagegen hat immer mit Wärme zu tun.

Jesus, der Gekreuzigte, hat in seinem Tod die äußerste Kälte erfahren. Der Künstler hat den toten Jesus des Karfreitags „eingefroren“, gleichsam tiefgefroren im Schockzustand des Kreuzes. Hat ihn mit einem großen Eisblock umgeben. Ausgerechnet ihn – den Menschen mit der größten Herzens- und Seelenwärme! Ja, ihn, Jesus, der eine Botschaft aussprach und vorlebte, die wirklich „keinen kalt ließ“! Eine Botschaft der Liebe Gottes – und wenn Liebe im Spiel ist, geht die Temperatur mindestens zehn Grad höher.
Aber dieser Jesus war umgebracht worden. Er hatte es geahnt und gewusst, war aber nicht davor geflohen, sondern seinen Weg zu Ende gegangen – in den Tod am Kreuz hinein. War damit seine Botschaft erledigt und zu Ende? Und die Wärme der göttlichen Liebe „heruntergedimmt“ – unter Null Grad? Ließ Gott das alles zu?
Ja, man konnte den Eindruck haben, dass Jesus in seinem Tod „auf Eis gelegt wurde“! Wer auf Eis gelegt ist, hat keine Zukunft. Der wird über kurz oder lang vergessen. Der spielt keine Rolle mehr. „Er hat es ja gut gemeint, aber so funktioniert die Welt nicht – man muss auf die Macht setzen, nicht auf die Liebe“, dachte damals wohl so mancher.

Gott war nun offensichtlich ganz anderer Meinung. Er kann das Eis zum Schmelzen bringen. Die Liebe kann das wohl auch! Wo man echte Liebe erfährt – und darin gewiss auch Gott –, da geht es rauf mit der Lebenstemperatur! Da schwindet die Eiseskälte. Der Eisblock ist dahin. Das Schmelzwasser kann zur Quelle werden.

Das feiern wir zu Ostern. Wir feiern ein Werk Gottes: Im Leben Jesu hat nicht die Eiseskälte des Todes das letzte Wort, sondern die Wärme des Lebens! Und so ist es mit Jesus nicht zu Ende, sondern fängt mit ihm richtig neu an. Verunsicherte und angstbesetzte Jünger machen sich bald auf den Weg bis an die Grenzen der Erde. Thomas soll bis Indien gekommen sein. Sie sind geleitet und motiviert von einer Erfahrung, nicht von einem Hirngespinst: Jesus lebt! – Für ein Hirngespinst setzt man doch nicht sein Leben ein.

So wecken die Jünger die Wärme Gottes in der Welt auf und halten sie wach, die Werte, die Jesus vorgelebt hat: Gottes- und Nächstenliebe, Versöhnung, Gerechtigkeit, Hilfe für die anderen, gerade für die Armen, Vertrauen, Hoffnung und Gelassenheit, manchmal sogar die Feindesliebe. Aber wir sind nicht Jesus, wir sind unvollkommene, begrenzte, sündige Menschen – und so konnten die Rechthaberei, die Lauheit und Bequemlichkeit, die Machtlust, die Unfreiheit und Gewalt, die ständige Ablenkung, die Heuchelei und der Hass mitwachsen. Selbst die Kirche – als göttliche „Wärmestube“ – konnte zu einem Ort werden, wo manche erstarren und frieren und mit den Zähnen klapperten.

Unsere Zeit steht sehr auf „cool“. In vielerlei Hinsicht ist sie eine Eiszeit geworden, in der der Mensch nur als Konsument interessant ist und Zahlen, Daten, Algorithmen, Technik das Geheimnis, das Zweckfreie und Schöne, die Poesie und die Religion aus der Welt vertreiben. Die Entzauberung der Welt! Der Blick der Passanten auf der Straße geht aufs Smartphone, nicht hin zu den anderen.

Schon vor 30 Jahren habe ich das in einem Text für ein Firmbuch so ausgedrückt:

Eine Eisschicht hat sich über die Menschen gelegt.
Eisblöcke stoßen aufeinander, tiefgefroren.
Ihr Verhältnis zueinander ist sehr kühl, wie man verstehen kann.
Sie sitzen in den Neonbars und machen auf cool.
Sie sitzen im Wartezimmer und starren aneinander vorbei.
Sie sitzen in der Kirche, und manche frieren.
Doch ganz im Innern, selbst im Tiefkühlfach dieser wandernden Kühlschränke,
lebt etwas Anderes, das nicht herauskann, sich nicht heraustraut,
der Drang nach Wärme, nach Nähe, nach Herz,
die Suche nach einer Flamme, um das Packeis zu schmelzen.


„Wärme Du, was kalt und hart…“, so singen und beten wir im Pfingsthymnus der Kirche. Ostern und Pfingsten, die beiden eng zusammenhängenden Feste, laden uns ein, Gott und seinen Heiligen Geist zu bestürmen, die Wärme in uns lebendig zu halten.

Ostern ist wirklich ein Signal der Hoffnung: Nicht der Tod hat das letzte Wort und auch nicht die ständige Variation der Kälte unter Menschen. Die erkalteten Beziehungen, die einsam machen, ja, sie sind da. Aber auch die Möglichkeiten, das Eis zum Schmelzen zu bringen! Gottes Möglichkeiten, unsere Möglichkeiten, vielleicht Hand in Hand. Die Freude an der Wärme, an der Herzlichkeit und Barmherzigkeit. Die Freude an Gott und den Menschen.
In diesem Sinne: Frohe und gesegnete Ostern!