Spricht Gott?

Predigt am 05.03.2023


Spricht Gott zu uns? In der Lesung wird das so erzählt: „In jenen Tagen sprach der Herr zu Abram: Zieh fort aus deinem Land. Ein Segen sollst du sein. Da ging Abram los, wie der Herr ihm gesagt hatte.“ (Gen 12,1-4)

In jenen Tagen. Lange her. Am Anfang unserer Glaubensgeschichte. Da erfährt ein alter Mann, Abram, Gott auf ganz neue Weise. Jetzt spricht der Allmächtige, der fern über den Wolken wohnt, im Himmel, auf einmal. Das ist ganz neu in der Geschichte der Religion. Er spricht ganz persönlich, auf eine bestimmte Person hin, eben zu Abram. Er hat für ihn einen Auftrag, eine „Berufung“: Brich auf, zieh los. Und eine Verheißung, ein Versprechen wird ihm mitgegeben: Ich werde dich segnen und zu einem großen Volk machen! Abram glaubt diesem Wort, und er zieht los. Damit begründet er das, was wir heute „Glauben“ nennen. Er antwortet mit seinem Leben, mit seinem Tun. Der Navi und der Kompass seines Lebens ist das, was Gott zu ihm gesagt hat. Abram hat dafür keine Sicherheiten, keine „Versicherung“, keine Beweise. Nur ein Wort ist da. Vielleicht so ähnlich wie in der Ehe, wo ein ganz kleines kurzes Wort – das Ja-Wort – die Beziehung trägt. Wie ein Magnet.

Spricht Gott auch heute zu uns? Oder sprach er nur in jenen Tagen? Da machen Menschen sehr unterschiedliche Erfahrungen. In einem kleinen Text drückt das Lothar Zenetti treffend aus:

Gott ist lange tot, wusste der junge Mann.
Seltsam, wunderte sich der alte Pater.
Vor einer Stunde sprach ich noch mit ihm.

Wohl denen, denen es so geht wie dem alten Pater. Viele andere aber tun sich schwer mit Gott. Sie sagen: Ich höre nichts. Ich bete, und es kommt nichts zurück. „Gott, ich klage, horche, suche, warte… wo bist du denn? Warum verbirgst du dich? Warum antwortest du nicht? Wie kann ich dich finden?“

Auch gläubige Christen leiden daran, keine Antwort im Gebet zu spüren. Keine Kraft wächst ihnen zu, kaum Trost – als wenn man vor eine Wand sprechen würde. Mir geht das oft auch so. Dann denke ich: Ich muss jetzt die Leere aushalten, dieses Nicht-Spüren und Nicht-Empfinden. Erinnere dich an die guten Momente, in denen Gott dich erfüllt hat, als so etwas wie eine „Antwort“ kam, eine Stärkung, ein Ausweg. Und dann lenke ich den Blick weg von meiner Befindlichkeit, von meinem enttäuschten „Etwas-spüren-Wollen“ – wende mich hin zu dem großen Wort Gottes für alle Menschen in der Bibel. Dann kann die Zuversicht wieder wachsen, wenn ich mich in diese große, über mich hinausgehende Geschichte hineinstelle. Vielleicht bete ich Psalmworte und merke, dass auch der Beter von damals, vor dreitausend Jahren, aus der Tiefe ruft: Gott, wo bist du? Es ist toll, dass in der Bibel jede Tonlage des Betens erlaubt ist – der Lobpreis und die Klage, der Dank und der Zweifel, das Vertrauen und das bohrende Fragen. Und wenn Gott mir in der Situation des Betens und der Stille keine erkennbare Antwort gibt, dann kommt Seine Antwort vielleicht im Leben, im ganz normalen Leben, eine halbe Stunde später: in einem Telefongespräch, in einer Begegnung, in einem Geistesblitz, in einer Zeitungsmeldung, kurz: in der Wirklichkeit: „Gott ist gegenwärtig auch zwischen Kochtöpfen“, meint die große Heilige Teresa von Avila. Gegenwärtig nicht immer nur In meinem Gebet, in der Kapelle oder in hohen Gedankenflügen. Gegenwärtig im wirklichen Leben, bei den Enkeln oder eben in der Küche.

In diesem Sinne habe ich das Evangelium von der Verklärung gelesen ( Mt 17, 1-9). Es ist eine Gotteserfahrung für Jesus und die drei Jünger: ein Leuchten und Stahlen und Ver-wandelt-werden. Das alles passiert nicht im Tempel oder in einer Kirche, sondern in freier Natur, auf einem hohen Berg – wie damals, tausend Jahre früher, auf dem Berg Sinai, wo Gott einen Bund schließt mit seinem Volk. Diese ganze Vorgeschichte des Heiles wird einbezogen – das Wort Gottes im Gesetz, etwa den zehn Geboten – und bei den Propheten. Daher tauchen jetzt auch Mose und der Prophet Elia auf und werden ebenfalls Zeugen der Verklärung. Gottes Licht leuchtet durch sie alle. Bald wird es noch heller strahlen – in Jerusalem. Dahin sind sie ja auf dem Weg. Es wird noch heller strahlen zu Ostern, in der Auferstehung.

Solche Momente kann man nicht planen und machen – oder durch religiöse Techniken herbeiführen. Wir haben auch keinen Anspruch darauf. Gott lebendig zu erfahren – das ist ein großes Geschenk, ein großes Glück. Gratis, aber unverfügbar. Wie alle großen Erfahrungen des Lebens – die Liebe und auch der Tod –: Sie geschehen an uns, sie überfallen uns. Wir können das nicht steuern.

Noch eines: Solche Momente gehen vorbei, haben keine bleibende Dauer, werden nicht in Stein gehauen. „Glück gibt es nur auf Zigarettenlänge“, heißt es in einem Roman. Drei Hütten zu bauen, wie Petrus es vorhat, das nützt nichts. Die Momente leuchten auf und verglühen wieder. Aber man kann sich immer wieder an sie erinnern und sich dann von ihnen erwärmen lassen.

Am Schluss heißt es im Evangelium: An die Arbeit! Zurück in die Wirklichkeit! Jesus und die drei Jünger steigen wieder den Berg hinab, in die Ebene, wo die Leute sind und sich an Jesus herandrängen. Der Weg geht Richtung Jerusalem, wo bald das Kreuz gezimmert wird. Aber das Erlebnis auf dem Berg ist wie eine „Wegzehrung“, eine Stärkung für unterwegs. Und das Wort Jesu an seine Jünger wirkt ähnlich aufmunternd auf mich: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“

Solche Sätze – von wem auch immer in mein Leben gesprochen – sind die Sprache Gottes.