Auf Gewalt verzichten

Predigt am 29.01.2023


Aus den vielen Seligpreisungen greife ich eine heraus: Selig, die keine Gewalt anwenden – denn sie werden das Land erben.

Warum gerade diese? Weil die Aggression und die Gewalt Amok läuft in unserer Welt!

Aggression ist eine Grundkraft, ein Grundtrieb im Menschen, wie der Hunger oder die Sexualität. Sie ist da, man kann sie nicht einsperren oder beschwichtigen. Mühsam genug versuchte man im Lauf der Geschichte, Dämme zu bauen, sie in Bahnen zu lenken. Wer z.B. Unrecht erlitt, sollte dem Übeltäter nicht den Schädel einschlagen und selbst Rache nehmen wie vielleicht in der Steinzeit, sondern vor Gericht klagen. Aber die Menschheit wurde ihr Steinzeitverhalten nie richtig los. Auch die Christenheit ist mit der Aggressionskraft nicht besonders gut zurechtgekommen. Sie hat Kreuzzüge gemacht, Kriege akzeptiert, Waffen gesegnet und oft genug eine direkte oder subtile, versteckte Gewalt gegen Menschen ausgeübt. Die Dämme der Gewalt brechen immer wieder, auch in angeblich aufgeklärten, „vernünftigen“ Zeiten: jetzt natürlich besonders der Krieg in der Ukraine. Die Aggressionen gegenüber Minderheiten. Und hier bei uns die alltägliche Verrohung: die Sprache des Hasses in den sozialen Medien und bei manchen Politikern. Schlägereien schon auf dem Schulhof. Ein 14jähriger bringt einen Gleichaltrigen um. Attacken auf Obdachlose, auf alte Leute, auf Behinderte, auf Rettungskräfte, auf Menschen im Zug. Immer druff auf die Schwachen!

Die Experten sprechen von der „Spirale“ der Gewalt. Gewalt schaukelt sich hoch. Oft fängt es klein und harmlos an. Als ich Kind war, hatten wir in der Nachbarschaft einen „Grenzstreit“. Wohin mit dem Laub, das im Herbst von den Bäumen fiel? Der eine Nachbar fegte dann das Laub auf das Grundstück des anderen, und der schob zurück. Man sprach irgendwann nicht mehr miteinander, man beleidigte sich, man versuchte, die anderen Nachbarn in den Streit hineinzuziehen und auf seine Seite zu kriegen – alles nur wegen Herbstlaub! Gewalt schaukelt sich hoch und eskaliert. So können Kriege entstehen. Gewalt schafft Gegengewalt, jeder fühlt sich im Recht, man kommt aus der Nummer nicht mehr raus.

Oder vielleicht doch? Ja; doch: Indem man auf Gewalt verzichtet. Indem man die Spirale kappt und unterbricht. Indem man aussteigt aus dem öden Spiel.

Wer das tut, wird von Jesus beglückwünscht. Es wird ihm gratuliert. Er wird selig, glücklich gepriesen. Er wird zum Bürger im Reich Gottes, zum Bürger des Himmelreichs erklärt! „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin,“ sagt Jesus dann weiter in der Bergpredigt.

Ist das verrückt? Kann man so leben, macht man sich da nicht zum Narren? Wird man da nicht zum Weichei erklärt?
Ja, es ist schwierig. Was soll eine Mutter ihrem kleinen Sohn sagen, wenn er auf dem Schulhof ständig von Stärkeren, Größeren verhauen wird? Die andere Wange hinhalten? Sie wird ihn doch wohl eher im Judokurs anmelden – damit er sich wehren kann.

Ich denke, die Bergpredigt ist nicht für Kinder gehalten worden. Sie ist ein Wort für erwachsene, reife Menschen. Man muss innerlich schon sehr gereift und voller Gottvertrauen sein und ein geübtes Gewissen haben, um gewaltlos und im Sinne der Seligpreisungen zu leben. Und man kann nur für die eigene Person, für sich selber zur Gewaltlosigkeit finden. Wir können daher als Christen den Menschen in der Ukraine nicht vorschreiben, mit welchen Waffen sie sich verteidigen wollen. Und auch wenn unser Land die geforderten Waffen liefert, sollte als das große Ziel die Verständigung und Überwindung von Hass uns leiten.

Man geht beim Gewaltverzicht in großen Schuhen:
Franz von Assisi gehört zu den Gewaltlosen. Die Legende erzählt, wie er ohne Angst auf den gefährlichen und bösen Wolf von Gubbio zugeht, ihn als „Bruder Wolf“ anspricht und ihn so zähmt.
Der Befreier Indiens, Mahatma Gandhi, ein Hindu, der Jesus bewunderte, gehört dazu. Er hatte die Seligpreisungen Jesu in sein Wickeltuch einnähen lassen.
Dann Martin Luther King in den USA, der gewaltlos – nur mit Demonstrationen und Gebeten – die Rassentrennung in den USA zu Fall brachte.
Eine meiner Erfahrungen in Guatemala: Der Vater eines achtjährigen Jungen war ermordet, hinterrücks erschossen worden. Der Junge sagte später: „Ich bin sehr traurig. Aber ich hasse die Leute nicht, die das gemacht haben. Ich bete für sie, dass sie so etwas nicht wieder tun!“ – Intuition eines Achtjährigen!

Woher die Kraft nehmen dazu? Zum Verzicht auf Hass und Gewalt, zur Vergebung?
Ich denke, es ist die Liebe zu Jesus. Es ist die Hoffnung, dass sein Beispiel und seine Worte aus dem Elend der Gewalt herausführen. Sterbend betete er am Kreuz für seine Verfolger: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Nichts von Rache ist zu spüren, nichts von Hass. Hass war „unter seinem Niveau“.

Bei Jesus selbst ist es das tiefe Vertrauen auf den Vater, auf Gott, „der es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“, der Saat und Unkraut zugleich wachsen lässt und das Unkraut nicht rausreißt. Es ist die Einsicht, dass wir alle Kinder Gottes sind, Gute wie Böse. Dass die Bösen das vergessen und verdrängt haben, und dass man sie durch Gutes, durch Vergebung und Gewaltlosigkeit, wieder daran erinnern kann. Wir Menschen sind alle aus demselben Stoff gemacht. Sehr schön hat das mal eine alte Nonne auf den Punkt gebracht, die sich jahrzehntelang in Paris um Prostituierte kümmerte. Auf die Frage, wie sie das denn aushielte, antwortete sie: „Ich bin nicht anders. Ich hatte es nur anders!“

Ich bin nicht anders. Ich denke, das kann helfen, Feindschaft und Aggression zu überwinden.