Jesus startet durch

Predigt am 22.01.2023


Mit diesem Evangelium wird Jesus eine öffentliche Person. Bis dahin war er ganz privat – so sehr, dass wir fast nichts über seine jungen Jahre wissen. Wie hat er da gelebt in Nazaret? „Kann von da etwas Gutes kommen?“, so fragten sich damals die Leute. Ist er zur Schule gegangen? Was war mit seiner Familie? Welchen Beruf hat er gelernt? Bauhandwerker, wie Josef? Niemand weiß das – alles bleibt im Dunkeln. Das Evangelium schweigt darüber, so als wollte es sagen: Diese Dinge sind nicht so wichtig, sie erklären nichts. Jesus wird nicht von Nazaret her verständlich – verständlich ist er nur von Gott her.

Jetzt also tritt Jesus an die Öffentlichkeit. Nach heutigen Standards ist sein Einstieg ins öffentliche Leben ziemlich danebengegangen. Schon der Ort, wo er startet, ist nicht gerade „erste Klasse“! Kafarnaum, am See Genesaret. Dorthin ist er von Nazaret aus umgezogen, weniger als 100 km weit weg. So ähnlich wie heute junge Leute, die studieren wollen, umziehen nach Dortmund, Bochum oder Münster. Das ist dann oft wie ein Neustart, ein Neuanfang, der das vertraute Zuhause hinter sich lässt, um Platz für etwas Neues zu schaffen.

Hätte Jesus wie die PR-Leute von heute gedacht, dann hätte er in Jerusalem beginnen müssen. Im Herzen, im Zentrum des Landes. Wer in Deutschland etwas bewegen will, der startet tunlichst in Berlin oder Frankfurt oder in anderen Metropolen. Nicht in Herscheid oder Oberbrügge.

Kafarnaum liegt noch in Galiläa, dem Land der jüdischen Stämme Sebulon und Naftali. Das ist das Volk, „das im Dunkeln lebt“, wie der Prophet Jesaja in der Lesung sagt. Im Dunkeln – außerhalb der Scheinwerfer, keiner interessiert sich für die Leute dort. Hinzu kam: Dieses Gebiet im Norden war früher von den Assyrern erobert worden, und die hatten ihre Kultur, ihre Götter, ihre Sitten und Gebräuche eingeschleppt und den Galiläern aufs Auge gedrückt. Das war zwar schon lange her, aber wirkte noch nach und klebte sozusagen den Leuten an: verdächtig zu sein. Halbe Heiden, nicht ganz lupenrein. Eben – Land der Dunkelheit.

Wir haben diesen Sachverhalt heute im Ohr von Papst Franziskus her. Er spricht ja gern und oft von den Rändern, von der Peripherie – und dass die Kirche dorthin gehen muss, dorthin zu den Armen. Zu denen, die nicht im Blick sind, und denen keiner zuhört.

Wenn Jesus heute käme, stünde er wahrscheinlich nicht auf dem Petersplatz in Rom oder auf der Wall Street in New York. Er finge eher an bei den Straßenkindern in Rio, bei den Flüchtlingen in Lampedusa, oder in Palästina oder Aleppo, vor der eigenen Haustür. Er fängt an im „Schattenreich des Todes“ – in den Dunkelheiten des menschlichen Herzens, da, wo die Angst herrscht, die Trauer, die Krankheit, die Resignation und Hoffnungslosigkeit. Da fängt er an – auch bei uns! Er fängt da an, wo keiner lange freiwillig bleibt. Und darum hat Jesus – im üblichen Wortsinn – auch keinen Erfolg gehabt in seinem Leben. „Erfolg ist keiner der Namen Gottes“, sagt der große jüdische Denker Martin Buber.

„Denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen.“ Die, die im Dunkel waren, kommen ans Licht. Jesus stellt in das helle Licht Gottes alle, die bislang übersehen wurden, für die sich keiner interessierte. Das waren die Unbedeutenden, die kleinen Leute, die Habenichtse, die Schwachen der Gesellschaft, auch die Kranken und ganz sicher die Aussätzigen. Das Rampenlicht der Welt bleibt ihnen verwehrt – aber das Licht Gottes fällt nun auf sie, und es fällt auch heute auf die Menschen, die nichts oder nicht viel gelten in den Augen der Welt. Wie müssen sie aufblühen, wenn ihnen gesagt und gezeigt wird: Trotz allem – trotz deines schweren Lebens: Du bist unendlich viel wert in den Augen Gottes! Und darum – hoffentlich – auch in den Augen und im Herzen der Christen!
In jeder Taufe eines Menschen wird dies beispielhaft deutlich.

Dieser öffentlich werdende Jesus beruft nun Menschen, die mitgehen sollen an die Ränder, an die „Hecken und Zäune“, an die dunklen Orte und Stellen im Leben. Menschenfischer sollen sie sein, ein weites Netz knüpfen, vernetzt sein mit den Menschen, die mitglauben im Sinne Jesu. Nun, heute wird Verschiedenes versucht, um Menschen für den Glauben zu öffnen. Aber entscheidend bleibt das mit den Menschenfischern – dass Jesus seine Botschaft in die Hand schwacher Menschen legt. Fischer waren das am Anfang, nicht Professoren. Nicht Schriftgelehrte. Was für ein Risiko! Die – wir – können ja auch alles vermasseln! Und der kleine Haufen der Zwölf war ja auch schwierig genug: Einer verrät ihn. Der Sprecher, Petrus, verleugnet ihn, und in der Stunde der allergrößten Not – am Kreuz – sind sie verschwunden, fast alle! Und doch: Es geht nicht anders! Das Evangelium kann nur weitergegeben werden durch Menschen, durch Eltern, durch glaubwürdige Christen. Durch Menschenfischer, die ihr eigenes Herz mit an die Angel hängen. „Man versteht das Evangelium nur, wenn man es tut“, schrieb der heilige Charles de Foucauld in der Wüste. Ja, Glauben – das ist ein Tuwort!

Gottes Licht strahlt im Dunkeln durch die Lichter, die wir Menschen entzünden und weitergeben. Keine Leuchttürme in der Regel, sondern eher Lagerfeuer, an denen man sich wärmen kann. Teelichter. Taschenlampen, um im Dunkeln durchzukommen. Wir können dazu beitragen, dass Jesus eine „öffentliche Person“ bleibt in unserem Land. Dass er nicht totgeschwiegen und ins Abseits gedrängt wird. Er ist der Leuchtturm, er allein. Sein Licht möge die Menschen wirklich erreichen, die aus dem „Schattenreich des Todes“ und aus dem Dunkel des Lebens herauswollen.