Paul-Adolf Müller-Naendrup - 90

Predigt am 20.01.2023


Paul-Adolf Müller-Naendrup hat viele Jahre als Dipl. Volkswirt und Personalchef großer Firmen in Mannheim und Ludwigshafen gearbeitet. Da gehörte es zu seinen Aufgaben, die Begabungen der Mitarbeitenden zu entdecken, zu würdigen und zu fördern.
Nun, da er verstorben ist, wollen wir auf ihn selber schauen und auf die großen Begabungen, die er in seinem langen und erfüllten Leben zum Leuchten brachte.
Unser Blick gewinnt an Schärfe, wenn wir ein Wort des Apostels Paulus aufgreifen: Charisma. Man kann das Wort übersetzen mit „Gottesgabe“. Paulus ist überzeugt, dass Gott jedem Menschen Gaben in seine Natur und sein Wesen hineingelegt hat, die er dann entfalten kann. Und der Mensch – gerade der Christ – darf dankbar sein für diese Gaben, diese Talente. Sie sind nicht bloß seine Leistung, auf die er dann stolz ist. Sie sind ihm gegeben wie ein Geschenk. Der Christ soll diese Charismen einsetzen, soll sie für andere fruchtbar machen, soll zum Aufbau und zur Förderung von Gemeinschaft und Gemeinde beitragen. Es sind Gaben-für-andere, so wie wir Menschen-für-andere sind.

Als Gott die Charismen an uns Menschen verteilte, ist er bei Paul-Adolf Müller-Naendrup besonders großzügig gewesen.

In einer kleinen familiären Festschrift zum 90. Geburtstag („Das Pamsche Sammel-werk“) schreibt die Tochter Barbara über die rechte Hand des Vaters:
Papis Hand – eine Hand, die winkt und stets willkommen heißt,
die liebevoll berührt, reicht und zeigt, wärmt und beschützt,
durchgreift und führt, gerne „pröttelt“,
die – nicht nur zusammen mit der linken Hand –
so genial und virtuos Klavier spielt, betet
und sich gern auf‘s Herz legt.


Herz – das ist das Zentralorgan für Charismen. Großherzigkeit, Respekt, aufmerksames Zuhören – das hat Paul-Adolf Müller-Naendrup als Dozent an der Berufsakademie Mannheim seine Studenten gelehrt – und vorgelebt. Was hätten wir für eine Unternehmenskultur, wenn alle das beherzigten! Und so muss es vom Herzen in die Hand gehen, in die Tat, muss gelebt und praktisch werden.

Paul-Adolf Müller-Naendrup war ein Charismatiker der Empathie, des Einfühlens und der Nächstenliebe. Bei den Enkelinnen klingt das z.B. so:
Du bist der beste Opa der Welt. Du weckst in mir viele wundervolle Erinnerungen und machst die Welt bunter.
Oder: Du bist ein Lebemensch, der viel gegeben hat, viel gibt und geben wird. Mein Opa. Immer da, immer der Verbinder, der Verknüpfer, der, der mit jedem und jeder am Ende eines Abends geredet hat – als hätte der Abend 24 Stunden.

Ja, so eine Präsenz in 90 Jahren – oder wie jemand aus der Familie ausgerechnet hat: in 32.850 Tagen oder in 788.000 Stunden. Nicht abgenutzt in der langen Zeit, nicht weniger geworden, nicht verbraucht. Wie von einer inneren Quelle gespeist. Eine Wachheit und Zugänglichkeit bis zum letzten Tag.

Auch der Glaube ist ein Charisma, eine Gnadengabe. Man kann ihn nicht „machen“ und in sich herstellen. Man kann ihn nur dankbar empfangen. Paul-Adolf Müller-Naendrup war so ein dankbarer Empfänger, ein lebenslang tief gläubiger Mann, der betete und auf Gott vertraute. Er brachte ein großes Empfinden mit für Gottes Schöpfung, Gottes schöne Welt. Der Spruch des jüdischen Weisen Martin Buber in der Todesanzeige war ihm nicht fremd: „Wir können nur mit Gott reden, wenn wir unsere Arme so gut wir können, um die Welt legen.“ Als begeisterter Wanderer durchstreifte er diese Welt, zeigte sie anderen als Wanderführer und hielt die Erfahrungen in Fotos und Filmen fest. Er konnte sich sehr am Leben und am Tanzen und am Sport erfreuen und – noch viel wichtiger: Er liebte seine Frau Helga in mehr als 60-jähriger vertrauter glücklicher Ehe wie auch die Kinder und Enkel aus vollem Herzen.

Glaube – das war auch ein Weg mit der Kirche. An der Seite stand ein älterer Bruder, Karl-Wolfgang, der Priester und Pfarrer in Olpe wurde und vor zehn Jahren starb. Sein musikalisches Talent setzte Paul-Adolf Müller-Naendrup auch im Orgelspiel ein. Jahrzehntelang hat er sonntags in Ludwigshafen ehrenamtlich als Organist gewirkt und die Liturgie bereichert. Er war ein weltoffener, ökumenisch orientierter, bis zuletzt gut informierter belesener Christ, der die aktuellen Entwicklungen der Kirche kritisch verfolgte. Und doch verlor er nie die Hoffnung, dass Gottes Geist auch durch alle menschliche Dickfelligkeit und Verbohrtheit hindurch die Kirche erneuern kann.

Ein weiteres Charisma bei ihm ist das des Wortes und der Töne. Ihm standen die Worte zur Verfügung. Aus seinem großen Herzen heraus konnte er sehr gut trösten. Und er war für seine drei Kinder Stefan, Barbara und Silvia und für seine 7 Enkel der „beste Geschichtenerzähler der Welt“. Seine Geschichten vom „Zwerg Nino“ oder dem „Reh Gerdrud“ sind in der Familie legendär.

Und dann die Musik. Das Klavier, der Flügel. Mozart und die Klassiker. Aber auch flotte Weisen von heute. Eine Enkelin hat es so im Gehör: „Mein Opa. Stets an seinem Flügel zu finden. Mal morgens, mittags oder abends. Das Wohnzimmer füllend und manchmal bis drei Häuser weiter reichend. An manchem Abend zum Tanzen verlockende Tonleitern klimpernd, an anderen Abenden Gespräche mit sanfteren Tönen begleitend.“ Und eben besonders gern Mozart, von dem der große Schweizer Theologe Karl Barth sagte: „Wenn im Himmel Festkonzert ist, dann spielen die Engel Bach. Aber wenn der liebe Gott ganz allein bei sich ist, dann legt er Mozart auf.

Noch ein letztes Charisma möchte ich anfügen: das des Mutes. Paul-Adolf Müller-Naendrup hat in seinem langen Leben an vielen Orten gelebt: der Junge in Paderborn, der Student in München, der Bräutigam in Heidelberg, der Familienmensch in Mannheim und dann lange in Ludwigshafen. 2021 brechen die Eheleute Müller-Naendrup die Zelte in der Pfalz ab und ziehen in die Region ihrer Töchter, ins Sauerland nach Lüdenscheid – in ein schönes Haus, das den geliebten Flügel fassen kann. Paul-Adolf Müller-Naendrup ist da 89 Jahre alt! Mutig, ein solcher Schritt! Vielleicht hat er gespürt, dass Heimat kein fester vertrauter Ort sein muss, sondern dass man Heimat mitnehmen kann – in Verbindung mit den Menschen, die man liebt.

Am 10.1.2023 ist Paul-Adolf Müller-Naendrup überraschend in seinem Haus gestorben. Noch einmal ist er umgezogen. In die ewige Heimat, in die Wohnungen Gottes, an den er so treu und so fest geglaubt hat.

Ich bekenne: Gern hätte ich ihn näher kennengelernt.