Blick auf Joseph, den Unscheinbaren

Predigt am 18.12.2022


Einmal habe ich in einer Kirche eine leere Krippe gesehen. Nein, eigentlich war sie gefüllt – aber nicht mit dem Jesuskind, sondern mit einer aufgeschlagenen Bibel. Die Krippe wirkte wie ein Thron für das Buch, für das Wort Gottes. Und ich dachte an die berühmte Stelle aus dem Johannesevangelium: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“

Und das Wort ist Fleisch geworden. Bei „Fleisch“ sollte man nun nicht an einen Metzgerladen denken. Fleisch meint: Mensch. Und Mensch meint hier: vergänglich, sterblich, schwach. So einer wird Jesus. Kein starker Held wie in den alten Göttersagen, sondern ein Armer, ein Wanderer – ohne festen Wohnsitz in der Welt. Am Anfang seines Lebens steht die Krippe, am Ende das Kreuz! „Der Hirte soll, wie Jesus, nach Schaf riechen“, sagte gleich zu Anfang seines Wirkens Papst Franziskus. Man kann hinzufügen: „Und das Wort (Gottes) soll nach Erde riechen“, soll also sein: konkret, nah an uns, geerdet, auf dem Boden. Es soll die Erde atmen – und uns gleichzeitig einen Geschmack vom Himmel geben. Es soll Himmel und Erde miteinander verbinden.

Was sagt das Wort (Gottes)? Es sagt vor allem: Ich liebe dich! Es ist eine Liebeserklärung Gottes an uns Menschen, an jeden einzelnen von uns. An ein ganzes Volk – Israel – über alle Katastrophen hinweg, und dann: an das neue Volk Gottes, das sich um Jesus Christus versammelt, und das heute so sehr in der Krise ist.

In Jesus ist diese göttliche Liebe erdnah, hautnah, anschaulich geworden. Sie ist in ihm „aufgeleuchtet“. Jesus ist das Wort Gottes in Sandalen. In ihm spricht sich diese Liebe aus – in seinen Taten, in seinen Worten, in allem, in seiner ganzen Person. Und dann, wie zusammengefasst, in seinem Sterben und in seinem Tod. Nicht „ein bisschen Liebe“ geht von ihm aus, wie im Schlager. Nein, es ist eine „totale“, ihn ganz ausfüllende Liebe mit verwandelnder Kraft. Darum feiern wir ja auch Ostern, Auferstehung, als das wichtigste aller Glaubensfeste. Weil Jesus als Mensch unter Menschen lebte, konnten viele den unfassbaren Gott erahnen, erfahren, berühren, ihm begegnen. Aber Gott kommt verborgen in ihm, geradezu diskret. Wir können ihn übersehen und überhören. Er zwingt uns nicht; er drängt sich nicht auf. „Das Wort hat unter uns gewohnt“, sagt die Bibel. Aber die Welt „erkannte ihn nicht; die Seinen nahmen ihn nicht auf!“ Werden wir das Wort heraushören aus den vielen Wörtern, aus dem Riesenwortschwall der Welt und der Medien, den wir täglich hören? Aus dem ganzen Weihnachtsrummel?

Ich wünschte, wir wären so konzentriert und gesammelt wie die Gestalt, die gerade im Evangelium erwähnt wurde: Joseph. Als Redner ist er nicht bekannt. Er hat eher zu den „Stillen im Lande“ gehört. Und er hat viel zu verarbeiten! Ringend und fragend wendet er sich an den Herrn: Herr, hilf mir, dass ich verstehen kann, was hier geschieht, was Du uns zugedacht hast.

Josef wird im Evangelium ein Gerechter genannt. Das sind die, die ihr Leben an Gott ausrichten. Die, die die Wege Gottes gehen wollen und nach Seinem Willen fragen. In dem schweren Konfliktfall, der ihm zugemutet ist (von wem stammt das Kind Mariens?) reagiert er gütig und menschlich. Er klammert sich nicht an den Buchstaben des jüdischen Gesetzes, das im Fall einer unehelichen Geburt die Ächtung, ja selbst die Steinigung der Mutter erlaubt. „In aller Stille“ will er sich trennen, ohne Maria bloßzustellen. Will er sich zurückziehen.

Josef träumt. Träume sind in der Bibel Wege, wie Gott sich – oft durch einen Engel – den Menschen mitteilt. Josef hat wohl den großen Traum seines Volkes mitgeträumt – den Traum, die Vision von einem Messias, der von Gott her kommt und sein Volk rettet, der es nicht „im Dunkeln sitzen lässt“. Wie ein strahlendes Licht wirkt der Messias für sein Volk. Er ist die Liebeserklärung Gottes an die Menschen. Und Josef ist wie ein Werkzeug Gottes in dieser großen wunderbaren Geschichte. Er ahnt, dass auch die großen Messias-Träume wahr werden und in Erfüllung gehen können. Dass sie also keine bloßen Wunschträume („Schäume“) bleiben, die wir Menschen uns selber ausdenken. Josef nimmt das Kind, das so unfassbar angekündigt wird, als Gottes Geschenk in sein Leben auf.

In den Weihnachtsbildern wird Josef gern im Hintergrund oder am Rande dargestellt. Väter agieren sonst eher im Vordergrund; gerade damals „hatten sie das Sagen“, waren die Patriarchen, die großen Chefs. Josef dagegen ist ein Hörender, der in sich hineinhört, der lauscht. Josef ist still und unscheinbar. Er schweigt. Er protestiert nicht lautstark, sondern vertraut Gott. Er gehört zu denen, die kein Aufsehen erregen, sondern in Treue ihren Weg gehen und auf Gottes Kraft und Beistand bauen. Die erst Hörer und dann Täter sind. Ganz fürsorglich wird er später für die Familie da sein. Und er kann uns bis heute als Vorbild gelten: wie er können wir die „Zumutungen Gottes“ annehmen, unsere eigenen Lebenspläne loslassen und den „Gott mit uns“ einlassen in unser Herz.