Freude - auch in schweren Zeiten

Predigt am 11.12.2022


Dietrich Bonhoeffer schreibt 1944 im Gefängnis:
In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht. Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht. Ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe. Ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden. In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld. Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich. … Lob und Dank sei dir für alle deine Güte und Treue in meinem vergangenen Leben. … Du wirst mir nicht mehr auferlegen, als ich tragen kann. Du lässt deinen Kindern alle Dinge zum Besten dienen.

Zu Silvester 1944 findet Bonhoeffer Worte, die Sie wohl alle kennen:
Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Dieses Gottvertrauen und diese Zuversicht hätte ich auch gern. Bonhoeffer sieht aus dem Fenster Berlin in Ruinen. Er muss fürs neue Jahr mit seiner Hinrichtung rechnen. Die Endschlacht um die Hauptstadt Berlin steht bevor. Kaum ein Stein bleibt auf dem anderen. Bonhoeffer setzt gegen den Augenschein: Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Damit müssen wir immer wieder rechnen: Der Augenschein zeigt sehr Dunkles. Aber das Innere, das Herz hält sich ans Licht.

Der Apostel Paulus ist auch so ein Beispiel. Der Einführungsvers in diesen 3. Adventssonntag ist von ihm, ein Wort aus dem Philipperbrief: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Der Herr ist nahe.“ (Phil 4,4) Freut euch heißt auf lateinisch Gaudete – und damit hat der Sonntag einen Namen bekommen.

Lässt sich die Freude befehlen? Jetzt mal alle auf Kommando: Freut euch? Das klappt nicht. Aber in eher freudlosen Zeiten lässt die Einladung zur Freude vielleicht aufhorchen – zumal wenn man die Umstände erfährt, in denen Paulus lebt und an die Philipper schreibt. Wie Bonhoeffer sitzt er im Gefängnis. Alles ist möglich – Freispruch oder Todesurteil. Und da kreist er nicht um sein eigenes Schicksal, sondern denkt an die Christen einer Gemeinde, die er in Philippi gegründet hat. Mit Freude denkt er an sie und ermutigt sie, mit Freude in der Spur Jesu Christi zu bleiben.

Im Dunkel sitzen, etwa im Gefängnis, oder sonst in einer schlimmen Lage, und ins Licht schauen, das zeigt innere Freiheit und Zuversicht. Diese Blickrichtung macht den Advent aus.

Auch in der Lesung (Jes 35) werden Menschen in schwieriger Lage zum Licht hingeführt. (Wohlgemerkt: zum Licht hin, nicht hinters Licht!) Das Volk Israel ist heimatvertrieben, wie so viele Deutsche 1945, und lebt zwangsweise im Exil in Babylon. Die Menschen haben da zwar ihr Auskommen und dürfen auch ihren jüdischen Glauben leben, aber das Heimweh nagt, die fremde Kultur mit ihren Göttern befremdet, der Tempel in Jerusalem fehlt, der Ort, wo Gott in ihrer Mitte war. Gott selber fehlt – als lebendige Erfahrung!

Jesaja, der Prophet, greift das alles auf, aber er denkt weiter. Ist es tatsächlich nur der eine Ort, – der Tempel, die Kirche –, wo Gott mir nahe ist? Oder kann ich darauf vertrauen, dass Gott mir überall nah sein kann und ist: zuhause, in der Küche, bei der Arbeit, ja selbst im Gefängnis – oder in Babylon? Jesaja macht Mut, indem er eine Zukunft beschreibt, die dann ja auch eingetreten ist: die Heimkehr in die Heimat.

Die vom Herrn Befreiten kehren zurück in Freude. Jubeln wird die Wüste und jauchzen und blühen die Steppe. Jesaja legt das Licht in die Zukunft, aber dieses Licht scheint schon in die Gegenwart und verändert sie. Es gibt den Menschen Kraft zum Aufstehen: Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Knie! Sagt den Verzagten: Seid stark, fürchtet euch nicht! Gott selber kommt und wird euch retten.

Fürchtet euch nicht! Jemand hat nachgezählt: 366-mal kommt dieser Ruf in der Bibel vor, sozusagen für jeden Tag einmal. Auch in der Weihnachtsgeschichte! Und immer wieder wird die Furcht und Angst vertrieben – von der Freude.

Und dann? Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen frohlockt.

Ein bisschen erlebe ich selber davon in diesen Tagen, mit ärztlicher Hilfe: kleiner Eingriff an den Augen, und wieder klare Sicht. Bald Operation am Knie, und ich werde wieder springen wie ein Hirsch. Und wenn auch nicht immer der Körper mitmacht, so können doch Seele und Geist sich auftun trotz aller blinden Flecken, das innere Hören kann wachsen und genauer und aufmerksamer werden, der Lahme steht auf aus den bequemen Sesseln und mischt sich ins Leben ein, und die Zunge, die verstummt ist oder nur noch Banales sagt, findet Worte des Lobes und der Dankbarkeit. Die Erstarrung bricht auf. Und Leben blüht. Mit Gottes Hilfe. – Wenn das kein Grund zur Freude ist!

Heute wird in vielen Kirchen ein rosafarbenes Messgewand getragen. Das dunklere Violett des Advents wird aufgehellt. Im Aufhellen der Farbe strahlt schon heute, also mittendrin im Advent, etwas auf vom Licht, von Weihnachten. Und kann, wenn unser Herz sich noch bewegen lässt, die Freude in uns wecken.