Ruhe im anderen finden

Bei einer Trauung am 10.09.2022


Einige Texte genauer zu betrachten, könnte sich jetzt lohnen. Die heutige Lesung etwa aus der Weisheit des Alten Testaments: Legen zwei sich zusammen, so wird es ihnen warm. (Kohelet 4,11) – Ein hilfreicher Hinweis vielleicht zur Energiekrise, im kalten Winter. Aber ich halte mich an Euren Trauspruch: „Das große Glück der Liebe besteht darin, Ruhe in einem anderen Herzen zu finden.“

Das stammt von Julie Jeanne Eleonore de Lepinasse. Ein toller Name und eine tolle Frau! Wikipedia sagt: Eine Salonniere des 18. Jahrhunderts, also eine Dame, die einen Salon, eine Gesprächsrunde mit sehr gescheiten Denkern und Literaten unterhielt, eine Frau mit magischer Anziehungskraft, die sich auch in den einen und anderen ihrer Gesprächspartner verliebte und glühende Liebesbriefe schreiben konnte. Sie „musste es wissen“, dass das Glück in der Ruhe liegt. Vermutlich hatte sie ein sehr unruhiges Leben geführt – so dass „die Ruhe in einem anderen Herzen“ ein Sehnsuchtsort war.

Liebes Brautpaar, geht Euch das auch so? Zur Ruhe kommen, jetzt nach dem Hochzeitsvorbereitungsstress. Zur Ruhe kommen, beim anderen ein Refugium finden, einen Ruheort, bei dem es einem wirklich „warm ums Herz“ wird? Den anderen als Ruhepol erleben?

Vielleicht habt ihr dafür besonders gute Voraussetzungen. Denn bei unserem Vorgespräch haben wir nicht viel über eure Arbeit und euren Beruf geredet, über Software-Programme und über Sozialpädagogik, sondern – über das Spiel. Ihr seid spielende Menschen. Er: Computerspiel. Sie: Gitarrenspiel. Beide: Gesellschaftsspiele. Und dazu – als Dritter im Bunde – ein verspielter Zwergpudel. Musik ist euch wichtig – er gestand, dass er bei ihrem Gitarrenspiel zum ersten Mal in Schwingungen geraten sei.

Spielen gehört nicht zu den Notwendigkeiten des Lebens. Notwendig ist es z.B., seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Spielen, Musik, Singen gehört zu den Freiheiten des Lebens. Man muss nicht, aber man kann und darf. Spielen ist zweckfrei – keine Pflicht, sondern Freude! Und ein großer Beitrag zum Glück. Mehr auf dieser Ebene habt Ihr euch gefunden, fühltet euch angezogen und fasziniert vom jeweils anderen, vom Humor und vom Lachen, von der Musik und vom Spiel. Eure Frage war nicht die nach dem Bankkonto! Und so seid Ihr in den fünf Jahren Eurer Beziehung ein gutes Team geworden, mit starker gemeinsamer Basis, und mit genügend Unterschieden, die das gemeinsame Leben ja erst spannend machen.

Ruhe in einem anderen Herzen finden. So ein Wort zieht an, gerade heute. Die Lage ist alles andere als ruhig. Wir schlittern von einer Krise in die nächste: Klimakrise. Corona. Ukrainekrieg. Energiekrise. Das private und familiäre Leben wird da mit hineingezogen – man merkt es direkt im Portemonnaie. Und wahrscheinlich war es immer so. Der große Heilige Augustinus, ein glänzender Psychologe, Mann in einer großen Zeitenwende um das Jahr 400 herum, schreibt damals: Unruhig ist unser Herz. Immer ist es unruhig, von innen her: Es begehrt. Es will dies und das. Es sucht und ist nicht zufrieden. Es zieht uns hierhin und dahin. Es kommt kaum zur Ruhe...

…außer beim anderen, beim geliebten Menschen – wenn man sich nicht mehr beweisen muss, wenn man nicht mehr imponieren und sich produzieren muss! Wenn man keine Rolle mehr spielen und bestens funktionieren muss – die perfekte Hausfrau etwa, oder den perfekten Ehemann.

Ruhe findet das Herz, wenn ich mich fallen lassen und beim anderen ganz ich selbst sein kann, ohne Fassaden, ohne Maske – ganz ehrlich, ganz „authentisch“. Das heißt: Wenn ein Riesenvertrauen und eine große wohltuende Vertrautheit da ist. Die Beatles – das war etwas vor Eurer Zeit – sangen in ihrem Song „Yesterday“: I need a place to hide away – ich brauche einen Platz, um mich irgendwo zu verstecken – ungestört, ganz bei mir, und gleichzeitig ganz beim anderen. Gut aufgehoben.

Unruhig ist unser Herz. Der Satz des hl. Augustinus ist noch nicht zu Ende, sondern geht weiter: Unruhig ist unser Herz, bis dass es seine Ruhe findet in dir! - Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Zusatz. Wir dürfen einander nicht überfordern. Der eine kann dem anderen nicht ein ständiger Glücksbringer sein. Die menschliche Liebe schafft nicht nur Ruhe, sondern auch eine andere Art von Unruhe: Was dem anderen weh tut, tut auch mir selber weh, sein Schmerz ist auch mein Schmerz, ich muss die kleinen und großen Abschiede des Lebens aushalten – schließlich den großen Abschied, wenn „der Tod uns trennt“. Wir Menschen sind begrenzt auch in der Liebe. Wir können nicht alles voneinander erwarten.

Aber wir können – mit unseren Grenzen – gemeinsam vor Gott stehen, vor dieser unendlichen Liebesmacht. Wie jetzt hier, in der Kirche, bei der Trauung – und unsere Hoffnung auf Ihn setzen: Lass uns immer wieder zur Ruhe kommen beieinander. Und gib, dass unsere unruhigen Herzen ganz zur Ruhe kommen in dir, der ewigen, unbegrenzten Liebe! Denn du bist größer als unser Herz, Du führst über den Tod hinaus, und Du weißt alles.