Mein Primizspruch

Predigt am 07.08.2022


Auf Grund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein fernes Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er brach auf und zog weg, ohne zu wissen, wohin es ging. (Hebr 11)

Zu diesem Bibelwort habe ich einen besonderen Bezug. Als wir 13 Kollegen meines Kurses 1975 zu Priestern geweiht wurden (so viele gab es damals noch!), druckten wir diesen Vers auf Karten und Programme, so wie Brautpaare das mit ihrem Trauspruch tun. Das Wort war gedacht als eine Art „Motto“ über unserem Leben, über unserer Zukunft. Abraham also eine Art Leitfigur! Besonders das „ohne zu wissen, wohin es ging“ zog uns an. Wir waren wahrscheinlich unsicher. Wir wussten auch nicht, wohin es ging, in welche Zukunft hinein. Unser Bischof Franz Hengsbach spürte das wohl und rief in seiner Predigt aus: „Wohin es geht? Ihr wisst es wohl: Ins Priestertum der katholischen Kirche!“ Das half uns nicht sehr – denn wie würde es uns darin gehen?

1975 - das ist schon ein bisschen her. Passt das Wort heute noch? Ich denke, es passt mehr denn je. Es passt zum Lebensgefühl eines Priesters, eines Christen heute. Wir wissen nicht, wohin es geht, wie unsere Gesellschaft und unsere Kirche sich entwickeln. Wir wissen nicht, wie z. B. unsere Pfarrei im Jahr 2030 oder 2040 dasteht. Wir wissen nicht, ob Menschen dann noch Lust am Christsein haben.

Lähmt uns das, dieses Nichtwissen? Ja, manchmal lähmt es mich. Aber dann denke ich an Abraham, die Leitfigur unserer Priesterweihe. Ja, den Vater des Glaubens für Juden, Christen und Muslime. Diese drei Religionen schauen auf ihn. „Was wir unter Glauben verstehen, das haben wir von ihm“, so sagen alle drei.

Glauben. Das ist nicht im Sinne von: Ich glaube, dass morgen die Sonne scheint. Ich vermute das mal. Es ist eher so, wie wenn ein Fußballtrainer seinem schwächelnden Mannschaftsspieler nach einigen Niederlagen sagt: „Du, ich glaube an dich!“ Das hilft dem auf die Beine. Also: Vertrauen – ganz groß geschrieben! Glauben ist ein Tu-Wort wie gehen oder laufen: Wie Abraham aufbrechen. Auf Gott vertrauen mit ganzem Herzen: Und so in die Dunkelheit hineingehen, in die Zukunft, die wir nicht kennen.

Ich habe ein Gemälde vor Augen: ein weiter leerer Raum, die Wüste. Ein hoher Himmel darüber, nachtschwarz. Und ganz unten ein kleiner Mensch. Er ist losgezogen in diesen weiten Raum hinein. Gibt es einen Kompass, ein „Navi“ für den Weg? „Kompass ist das Gotteswort“, heißt es in einem Lied. Auf dem Bild ist ein eher kleiner Lichtpunkt am Himmel zu sehen. Abraham hat keine Landkarten und kein Navi, er lässt sich vom Wort Gottes ziehen und locken. Gott hat zu ihm, dem schon alten, aber kinderlosen Mann gesagt: „Brich auf. Zieh los. Ich werde dir Neuland zeigen. Du wirst Nachkommen haben, Vater eines Volkes wirst du sein. Und vor allem: Du wirst ein Segen sein!“ Abraham setzt nichts dagegen. Er sagt nicht: „Da muss ich aber lachen – ich bin doch viel zu alt!“ Er vertraut Gott und zieht los. Wie ein heutiger Flüchtling aus Afrika – ins Unbekannte! Ohne zu wissen wohin! Das war einzigartig! Dieses Vertrauen in Gott, das gab es noch nicht in den alten heiligen Texten. Es ist in Abraham entstanden. Es kommt in ihm zur Welt. Darum ist er der Vater des Glaubens, des Gottvertrauens. Glauben wie Abraham, glauben wie Jesus, der selbst in der Gottverlassenheit, am Kreuz, an Gott festhielt – das ist Vertrauen. Und das ist eine Riesenkraft im Leben.

Der Raum der „Wüste“ ist heute noch weiter geworden und der Himmel nicht heller. Ratlosigkeit und Unsicherheit sind gewachsen: Wo geht die Welt hin? Wohin geht Europa? Wohin das Christentum, wohin die Kirche?

„Fürchte dich nicht, du kleine Herde“, so beginnt das heutige Evangelium. Wo geht es hin mit der kleinen Herde? Immer mehr leben wir mit ganz offenen Fragen. Antworten weiß keiner. Das ist nicht besonders bequem. Die Wüste ist kein bequemer Ort. Aber sie ist näher am Glauben des Abraham, als wenn man gemütlich, satt, bequem und gut versichert in einer ziemlich „heilen Welt“ sitzt.

In einer solchen Lage werden die „Lichtpunkte am Himmel“ immer wichtiger. An ihnen hat Abraham sich ausgerichtet. Wo finden wir sie heute? Wohl nicht mehr am Himmel, wie die Sterne. Eher mitten im Leben. Oft überlagert und verborgen, in der Unruhe der Tage wie verschüttet. „Sie sind in unser Herz geschrieben“, weiß die Bibel. In den ruhigen Tagen der Ferien sehen wir sie vielleicht deutlicher – die Lichtpunkte, die Anknüpfungspunkte für Gott. Momente der Zuversicht, der Liebe und des Glücks. Mitunter sogar das Gespür, wie erlöst zu sein – von den Zwängen, den Anspannungen und Ängsten. Eine Ruhe mitten in der Wüste, mitten in der unruhigen Welt.

Und der Kompass des Abraham? Gott sprach damals direkt zu ihm, in sein Herz hinein. Wir haben als eine Art Kompass das Evangelium. Es zeigt die Richtung an. Wenn wir danach leben, dann leuchtet Gott in uns auf: in unseren Begegnungen mit anderen Menschen, in unseren Versuchen zu beten, im Einsatz für arme Menschen, im Vergeben, im inneren Frieden, in innerer Heilung. Ich frage mich manchmal abends, von welchen Lichtpunkten ich am Tag gelebt habe.

Auch die kleine Herde – und sei sie noch so klein – kann ein Lichtpunkt sein, ja ein Leuchtturm, wenn sie nach dem Evangelium lebt. Es hängt nicht von den Zahlen ab, von der Größe der Herde! Sind´s Millionen, sind´s Tausende? Eher von der Bereitschaft, den Glauben wirklich zu leben. Eher vom Gottvertrauen.

Fürchte dich nicht, du kleine Herde. Der verstorbene, weltweit bekannte Erzbischof Dom Helder Camara aus Brasilien, ein Mann der Armen, hat oft von den „abrahamitischen Minderheiten“ gesprochen, also von Minderheiten, die „in der Spur des Abraham“ gehen. Er meinte damit wohl: Nicht die großen Mehrheiten und Massen bewegen die Welt. Sie lassen sich eher schieben und treiben. Das, was alle denken und tun, ist nicht „das Evangelium“, sondern oft der bequemste Weg. Immer wieder braucht es Minderheiten, die sagen: So geht es nicht weiter! Aber so könnte es gehen! Wie die jungen Leute, die der Klimawandel auf die Straße treibt.

Minderheiten bewegen die Welt, sie sind das „Salz in der Suppe“. Vielleicht ist Abraham auch „ihr Vater“ – mögen sie nun bewusst gläubig sein oder nicht. Abraham, der wie ein Flüchtling aufbrach in die Wüste, in die Fremde, ins Neuland, wo noch keiner war. Abraham mit seinem unglaublichen Vertrauen. Abraham, der Vater des Glaubens. Ein Leuchtturm durch die Zeiten und Religionen. Und wir können seine Söhne und Töchter sein!