Schätze des Lebens

Predigt am 31.07.2022


Was ist los mit unserer Welt? Spielt sie verrückt? Gehen alle Maßstäbe den Bach runter?
Immer häufiger heißt es bei schlimmen Ereignissen: Niemand weiß warum. Niemand versteht, was da abgeht.
Liegt ein Wahn über der Welt? Was wird noch alles kommen?

Alles ist Windhauch. So steht es in der Lesung. Der Autor – Kohelet, der Prediger – gehört zu den Weisheitslehrern des Alten Testaments. Er ist ein großer Menschenkenner, ein Mann mit Lebenserfahrung. Sehr nüchtern, sehr skeptisch, fast schon pessimistisch, ohne jede Illusion. Weit entfernt von jedem Wahn. Kohelet kennt auch die, die es weit gebracht haben, die Mächtigen, die Reichen seiner Zeit. Er weiß, wie sehr sie auf Sicherheit bedacht sind und daher an ihrem Besitz hängen: mein Konto ist gut gepolstert, ich bin für bzw. gegen alle denkbaren Fälle gut versichert, was sollte mir passieren? Windhauch, Illusion, ruft Kohelet ihnen zu, eitler Wahn! Denn Besitz ist flüchtig und vergänglich, du kannst dich nicht darauf verlassen! Wir haben das ja in den letzten Jahren weltweit erlebt, wie der Besitz wie Schnee in der Sonne schmelzen kann – wie Kriege und Teuerungen uns einen Strich durch unsere Rechnungen machen. Windhauch, sagt Kohelet, ist das ganze Leben: flüchtig, vergänglich. Wenn ein Mensch überraschend stirbt und wir dann darüber sehr erschüttert sind, weht uns dieser Windhauch wie ein Sturm direkt ins Gesicht.

Ähnlich äußert sich Jesus im Evangelium, im Gleichnis vom reichen Kornbauern. Dieser hortet einen großen Vorrat in seinen Scheunen, und in seinem Selbstgespräch – er ist sehr allein und hat wohl keinen zum Reden – lädt er sich selber ein: „Nun ruh dich aus, iss und trink, und freu dich deines Lebens!“ Was für ein Narr, sagt Jesus, er kreist nur um sich selbst! Er hat auf die falschen Schätze gesetzt. Noch in dieser Nacht wird man sein Leben von ihm zurückfordern. Dieser große Haken, an dem wir alle hängen: die Vergänglichkeit!

Gibt es andere Schätze und Besitztümer, die einem nicht genommen werden? Ich werde nun privat: Die Geschichte von den letzten Jahren meiner Mutter, die noch im letzten Jahrhundert starb, ist wohl nicht ganz untypisch – es dürfte vielen so gehen – uns selbst irgendwann auch! Mit 83 Jahren gab sie ihre große Wohnung auf und zog zu mir nach Lüdenscheid ins Pfarrhaus, in eine kleine Einliegerwohnung mit zwei Zimmern. Wir halfen ihr beim Aussortieren und Ausrangieren. Das ist ein ziemlich schwieriges Geschäft! Immer wieder die Frage: „Brauchst du das noch?“ Nein, sie brauchte das meiste nicht mehr! Viel Liebgewordenes und Vertrautes, vieles, an dem ihr Herz hing, blieb auf der Strecke, wurde entsorgt und weggeschmissen.
Ein paar Jahre später wurde der Lebensradius meiner Mutter noch kleiner. Sie zog krankheitshalber auf ein Doppelzimmer in einem Altenheim, und wieder derselbe Vorgang: aussortieren, ausrangieren. Da blieb nicht mehr viel: etwas Kleidung, einige „Habseligkeiten“, wie man so schön sagt. In den letzten Monaten war sie ans Bett gebunden. Was braucht man noch auf zwei Quadratmetern Bett? Welche Schätze zählen da noch? Nachthemden, und was in eine Schublade passt. Doch, eines brauchte meine Mutter noch: Bilder. Familienfotos hingen an der Wand überm Bett, außerdem ein Kreuz, ein Madonnenbild. Diese Bilder hatte sie bis zuletzt im Blick. Sie standen für den „Schatz“ ihres Lebens. Es waren Erinnerungen an das Leben in der Familie. Das war ihr Schatz, das, was sich unter dem großen Wort „Liebe“ fassen lässt. Und dazu das Kreuz an der Wand, das Marienbild, die Zeichen des Glaubens. Auch das gehörte zum Lebensschatz: fast selbstverständlich geglaubt zu haben, ohne viele Worte und Erklärungen. Das Schwere im Leben (die Kriegsjahre, oder die Lasten des Alters) im Glauben getragen zu haben.

Diese Schätze und Erinnerungen der Liebe und des Glaubens kann jeder innerlich mitnehmen! Das Leben mag dann noch so beschränkt sein – etwa auf die Größe eines Bettes –, die Schätze und Erinnerungen kann man mitnehmen in die Krankheiten und ins hohe Alter, selbst ins Sterben und in den Tod. Vielleicht denken Sie jetzt: von all dem bin ich Gottseidank noch meilenweit entfernt; ich weiß mit meiner Kraft kaum wohin! Nun, niemand muss ständig an die Vergänglichkeit denken – das Aschenkreuz gibt es ja auch nur einmal im Jahr! Aber die richtigen Schätze sollte man von Anfang an sammeln und auf sie bedacht sein: die Schätze, die vor Gott zählen. Die Schätze, denen, wie Jesus sagt, Rost und Motten nichts anhaben können. Nicht zuletzt der Glaube, der uns nicht zum Selbstgespräch verleitet wie den reichen Kornbauern – sondern zum Gespräch mit Gott. Und dann ändert sich der Blick auf die Welt.

Der berühmte brasilianische Bischof Helder Camara hat einmal von einer armen alten Bäuerin erzählt, die er in einer Gemeinde getroffen hatte. Sie sagte: „Ich halte mich nicht für elend. Ich habe Reichtümer, die man für kein Geld der Welt kaufen kann: meine Augen, meine Ohren, meine Hände, meine Füße, meinen Kopf, mein Herz! Und vor allem meinen Glauben. Den tausche ich nicht, den verkaufe ich nicht, nicht um alle Güter der Welt!“ Ja, so kann der Blick auf die Welt auch aussehen.