Die Freiheit eines Christenmenschen

Predigt am 26.6.2022


„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“, sang in meinen jungen Jahren der Liedermacher Reinhard Mey. Sein Hobby war das Fliegen, und über den Wolken, in seiner Flugkabine, begegnete ihm wohl die ganz große Freiheit.

Wie ist es aber unter den Wolken, hier auf der Erde? Frei sein – das ist bei uns ein Spitzenwert, ein Spitzenwunsch. Frei sein – das möchte jeder! Unsere westliche Kultur ist ausgerichtet auf persönliche Freiheit. Darum wollen fast alle Flüchtlinge am liebsten nach Westeuropa; von Gängelungen, Unterdrückung und Unfreiheit haben sie die Nase voll.

Ich denke, wir dürfen sehr dankbar sein für die freiheitliche Atmosphäre in unserem Land. Aber grenzenlos ist die Freiheit nicht und kann sie nicht sein! So wird eine Ehe nicht lange halten, wenn jeder nur seine Freiheit ausleben will. Die Grenze der Freiheit ist immer auch die Freiheit des anderen.

Eingeschränkt ist die Freiheit wohl auch, wenn man nicht viel im Portemonnaie hat. Da ist dann z.B. eine Urlaubsreise kaum möglich. Und Urlaub steht ja ganz besonders für Freiheit: mal raus aus der Routine der Arbeit! Tapetenwechsel! Mal ganz was anderes erleben!

Es gibt auch Menschen, die fühlen sich durch Freiheit überfordert. Die sagen: Ständig muss man sich entscheiden. So viele Wege sind möglich! Das ist so anstrengend! Welchen Weg sollen wir denn gehen? Sag uns doch einer, wo´s langgeht! Und die sind dann oft bereit, sich einer Autorität, einer Art „Führer“ anzuschließen, oder einer Gemeinschaft, die einem das eigene Denken ein Stück weit abnimmt.

Für das herrliche Geschenk der Freiheit zahlt man oft einen hohen Preis. Ich sprach vor kurzem mit einem jüngeren Freiberufler, der kreativ in der Werbung arbeitet. „Ja, ich kann morgens lange schlafen, ich brauche nicht um halb acht ins Büro,“ sagte er. „Aber den Leistungsdruck kann man sich kaum vorstellen! Die ganze Szene besteht aus Konkurrenz, alles ist Wettbewerb. Fehler darfst Du nicht machen, die werden dir nicht verziehen. Schwächen darfst du nicht zeigen, das bringt dich raus. Der Druck ist schon sehr gnadenlos!“

Gnadenlos. Da sind wir in der Lesung angekommen. Paulus äußert sich im Galaterbrief über die Freiheit des Glaubenden, über die Freiheit des Christen. Die junge Kirche der ersten Jahrzehnte hat ein Problem. Sie besteht meist aus Juden, die sich jetzt zu Christus bekennen. Und dann kommen Heiden dazu, Griechen und Römer, die ebenfalls an Christus glauben. Was ist mit denen? Müssen sie erst Juden werden, um dann richtig als Christen zu gelten? Nein, sagt Paulus – zum großen Missfallen vieler Judenchristen. Der Glaube an Christus genügt. Zur Freiheit hat uns Christus befreit! (Gal 5,1) Um zu Christus zu kommen, braucht ihr nicht das Regelwerk des jüdischen Gesetzes. Um zu Christus zu kommen, braucht ihr Glauben und Vertrauen in ihn – nur das. Das reicht!

Jesus Christus liebt uns, nicht, weil wir so gut sind – und alle Gebote gehalten haben, vielleicht aus Angst. Da ist im Blick auf Gott kein Leistungs- und Höllendruck, der uns erdrückt!
Jesus Christus liebt uns, weil ER so gut ist – allein aus Gnade. Und das macht uns frei. Das Leben ist nicht mehr gnadenlos.

Aber ein Hindernis ist da. Paulus nennt es das Fleisch. Fleisch meint nicht Sex und „Fleischeslust“, wie wir vielleicht denken. Fleisch meint bei Paulus: Nur ich. In erster Linie: Ich. Kreisen um sich selbst. Egoismus.
Folgt nicht dem Fleisch, sagt Paulus. Fleisch macht unfrei. Folgt dem Geist. Lasst euch vom Geist führen. Damit ist der Raum genannt, in dem wir leben dürfen. Der Geist, der uns die Kraft gibt, einander in Liebe zu dienen.

Wenn wir so im Glauben sind, wieso sind wir dann zutiefst frei? Frei wovon?
Ich denke, weil das erste Gebot gilt: keine fremden Götter akzeptieren und „anbeten“, außer dem Vater im Himmel. Dann ist vieles uns nicht mehr so wichtig und verliert seine Bedeutung. Zum Beispiel: Der „Herr aller Herren“, das Geld. Die mächtigen Trends unserer Zeit. Das, was „die Leute denken“ und über mich sagen. Die öffentliche Meinung. Die glänzende Fassade. Die Statussymbole: das große Auto, das tolle Outfit. Der gnadenlose Leistungs- und Erfolgsdruck. Das Leben in ständiger Konkurrenz, in Ehrgeiz und Neid.

Das alles relativiert sich, wird runtergestuft, hat mich nicht mehr so im Griff. Ich bin so frei, es hinter mir zu lassen – es zumindest zu versuchen. Das ist nicht mehr der Maßstab! Leben ist mehr und anders! Leben ist wie ein Haus, gebaut aus Vertrauen, Freude am anderen, Gemeinschaft, Geduld – und Freiheit.
Ich schaue auf Jesus Christus, den Befreier, den Erlöser, und seine Maßstäbe. Er lebt mit in diesem Haus, ist die Basis, der Grundstein. Sein Geist möge uns alle inspirieren und das Haus menschlich und wohnlich machen – der Geist der Freiheit.