Seitenblicke ins Katholische.
Neue Erfahrungen mit der Kirche

Vortrag in der evangelischen Erlöserkirche Lüdenscheid am 13.6.2022
(gekürzte Fassung)


2.
Meine eigene (Kindheits-)Erfahrung


Wir gehen 70 Jahre zurück, ins Ruhrgebiet. Da war ein „Milieukatholizismus“ – Gott wurde in den Familien „vererbt“, der Glaube war selbstverständlich, der Kirchenbesuch stabil. Wer nicht in die Kirche ging, galt als zu bequem („Die kriegen den Hintern nicht hoch…“, sagte mein Vater. „Die kommen nicht aus den Betten.“) Familie und Bekannte waren so gut wie alle katholisch. Bei einer Brautwerbung fragten die Eltern als erstes: „Ist sie auch katholisch?“
Alles war katholisch „versäult“: Man wählte CDU, ging in die Bekenntnisgrundschule, die Mutter in den Mütterverein, der Vater nach Kolping, wo er die Ehrennadel für 50-jährige Mitgliedschaft stolz trug. Gutes Schrifttum bekam man in der Borromäusbücherei, und wer Sport treiben wollte, konnte das in der katholischen DJK tun.

Das typische Kirchenlied war: Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land – aus ewgem Stein erbauet von Gottes Meisterhand. Einen gewissen Triumphalismus kann man dem Lied – und der Zeit – nicht absprechen.

Die Priester waren ein großes Thema. Man redete über sie, man sah auf sie, sie standen auf einem hohen Sockel. Beim Karneval schauten die Leute gern bei leicht anrüchigen Witzen zum Priester hin. Lachte der Pfarrer? Dann lachten sie auch.

„Klerikalismus“ – so wird man später diese Ehren- und Machtposition der Priester nennen. Und ein Papst Franziskus wird sie als Todsünde der Kirche und als „Pest“ geißeln und bekämpfen.

Insgesamt lebten wir in einer eher geschlossenen Welt: in sich abgeschlossen, auf die Institution gerichtet, die regierte (mit der heiligen Herrschaft, der Hierarchie nicht nur leitete, sondern beherrschte) und mit strenger rigoroser Moral wie ein „Bollwerk“ in die sündhafte Gesellschaft hineinsprach.

Aber es war auch eine „schöne Welt“, die eine Zugehörigkeit, einen Halt, eine innere Heimat schuf und Herz und die Gefühle, den Verstand und die Seele nährte, bei mir mit Langzeitwirkung.

Das war die alte klassische Erfahrung mit der Kirche – heute ist das eine versunkene Welt.

3. Die zweite Erfahrung: Öffnungen im Gehäuse