Johannes Broxtermann - Predigten - Gedanken

Jesus auf dem Sprungbrett

Osterpredigt am 17.04.2022


Als kleiner Junge
im Schwimmbad:
Ich bewunderte den
Zehn-Meter-Turm -
oder besser: die, die
sich herauftrauten.
Sie wippten
auf dem Sprungbrett -
und dann
nahmen sie Anlauf
und sprangen,
zehn Meter tief.
Mutig! Mut,
den ich nicht hatte.
Ich brauchte Boden
unter den Füßen.

Später bot einem das Leben
Sprungbretter ganz anderer Art.
Ich meine jetzt
nicht: Karriere …
Sondern: Beiläufig
gehst du zu einer Party
und lernst da - die große
Liebe deines Lebens kennen.
Ungeplant! Überraschung!
Oder du kommst
- eher zufällig -
in ein fernes Land
und findest da
eine Aufgabe, die sich
durch dein Leben zieht.
Wiederum ungeplant ….
Die Party oder
das fremde Land oder
was auch immer sonst
wird zum Sprungbrett
ins Neue, ins Ungeplante,
ins Ungeahnte,
und der Schritt, den du tust,
der Sprung, den du da machst,
geht weiter als
die zehn Meter beim Baden.
Der Kopfsprung
in die Liebe.
Der Kopfsprung
ins Vertrauen.
Der Mut,
wirklich zu leben …

Damit hat
das erste Bild zu tun.
Ein Sprungbrett
ohnegleichen – das Kreuz.
Jesus steht oben drauf,
aufgestanden.
Auf-erstanden!
Und gleich springt er los.
Der Sprung der
AUFERSTEHUNG:
Nicht mehr
aufs Kreuz gelegt sein.
Nicht mehr
angenagelt sein, fixiert,
gefesselt, erstarrt.
Nicht mehr
vom Tod verschlungen.
Nicht eingesargt.
Nicht ein Ende.
Sondern ein Beginn.
Nicht mehr Tod,
sondern Leben.
Gelöst, er-löst.
Auf dem Sprung.

TABULA SALTANDI
hat der Österreicher
Werner Hofmeister
dieses Werk genannt.
Es steht auf dem
Kalvarienberg in Graz
inmitten vieler anderer
Kreuzwegstationen.
Aber immer hier
vor diesem Kreuz
bleiben die Leute stehen -
und sind verblüfft…
So hat man das Kreuz
noch nie gesehen –
als Sprungbrett
in ein neues Leben,
in die Hoffnung,
in die Ewigkeit,
die schon hier beginnt…

Tabula saltandi -
Sprungbrett – die
zweite Übersetzung
ist TANZBODEN.
Tanzen, abheben,
Springen, fliegen …
Schon Augustinus meint:
„Mensch, lerne tanzen,
damit die Engel im Himmel
an dir Freude haben!“

Aber wir sind noch
so bedrängt vom Kreuz …
Die Welt ist und bleibt
eine gekreuzigte Welt.
Wohin wir schauen –
Leiden.
Mariupol, die nach
Maria benannte Stadt
ist nicht mehr.
Ein Land in unserer Nähe
wird zerstört.
Die Bilder aus Butscha:
bleibender Karfreitag…

Und doch: Die Ukrainer
machen uns vor, wie man
aufsteht und springt.
Weil sie das Leben lieben,
ihr Leben, ihr Land,
ihre Freiheit.

„Wir dürfen nicht
sitzen bleiben, wenn
wir Auferstehung feiern,“
schreibt Abt Martin Werlen.
„Wir dürfen nicht
Ostern feiern und
hocken bleiben.
Wir stehen auf – als
aufgerichtete Menschen.“
Aus den Blockaden
treten wir heraus
und schauen wie Christus
nach vorn. Und nach oben.
Zum Himmel hin…

Von ZEITENWENDE
schreiben die Zeitungen.
Die Zeit wendet sich hin
zu Krieg und Katastrophen.
Aber auch Ostern
ist eine Zeitenwende
in umgekehrter Richtung.
Die Kreuze bleiben stehen,
aber Worte der Hoffnung
gehen von Mund zu Mund.
Und Menschen sind da,
aus denen Jesus weiter spricht.
Ein Mann, dessen Frau er-
mordet wurde von Terroristen,
sagt zu ihnen: „Meinen Hass
bekommt ihr nicht!“
Pablo Neruda, Dichter in Chile,
vom Diktator Pinochet verfolgt,
schreibt kurz vor seinem Tod:
„Sie können alle Blumen
abschneiden, aber sie werden
den Frühling nicht verhindern!“

Schauen wir nun auf das zweite Bild.
2021 wurde es Foto des Jahres.
Eine Szene aus Syrien.
Syrien erlebt seit fast 10 Jahren
das Grauen des Krieges.
Wer da genauer hinschaut,
dem kommen die Tränen.
Aber in diesem Foto
lacht der Vater
und strahlt der Sohn.
Der Vater –
beinamputiert und
angewiesen auf Krücken.
Der Sohn:
Durch Gaseinwirkungen
während der Schwangerschaft
sehr behindert - ohne Beine
und nur mit Armstümpfen.
Und beide freuen sich
an ihrem Leben
und an ihrer Liebe!

Beide wahrscheinlich Muslime -
aber spielt das eine Rolle,
wenn wir dieses Bild
als österlich empfinden?
Denn es gibt nur eines:

Leben.
Was sonst!