Johannes Broxtermann - Predigten - Gedanken

Unter geöffnetem Himmel: Die Taufe Jesu

Predigt am 09.01.2022


Und während Jesus betete, öffnete sich der Himmel …
Dieses Bild geht mir nach: Der geöffnete Himmel. Leben unter einem Himmel, der nicht verschlossen ist.

Ich liebe gotische Kathedralen. Den Kölner Dom, Notre Dame in Paris, Chartres und viele andere. So stelle ich mir den Himmel vor: diese Weite, dieses Licht! Was mögen die Leute des Mittelalters gedacht haben, wenn sie vor 800 oder 700 Jahren ihre Kathedrale betraten! Sie wohnten ja selber in kleinen Häusern und Hütten; ärmlich war es darin, rauchig, eng, düster, dunkel. Und dann, in der Kirche: die Schönheit und der Glanz. Das war für sie ein Abbild des Himmels, ein Vorgeschmack himmlischer Herrlichkeit!
Es gibt mehr als unseren Alltag und unsere Armut und unser Elend, so mochten sie denken und spüren. Wir sind Teil von etwas Größerem, wir gehören dem Reich Gottes an. Dem Himmel Gottes, der auf die Erde niederstrahlt. Und sie staunten und „machten große Augen“, und sie beteten, und sie teilten wohl alle eine Erfahrung, die ihnen wie selbstverständlich und geradezu offensichtlich war: dass es Gott gibt, dass sich mit ihm Schönheit und Würde und – das wurde damals sehr betont: Macht – verbindet, und dass er uns aus dem Dreck des Alltags und der Armut erhebt. Wir sind zu anderem berufen; es gibt mehr und Größeres. Sie „erlebten“ Gott. Und so kann der Himmel sich öffnen – nicht nur in den Kathedralen, auch in den Sakramenten, und immer wieder im Gebet.

So war das damals. Kathedralen heute: In vielen muss man erstmal Eintritt zahlen. Es summt und tönt wie in einem Bienenstock. Touristenschwärme drängeln sich. Die Beter ziehen sich zurück in eine kleine Kapelle. Nur da ist es still. Ansonsten wird fotografiert, was das Zeug hält. Man will die Eindrücke auf dem Handy festhalten. Aber welche Eindrücke? Was spürt einer heute? Lässt er sich Zeit, um etwas spüren zu können? Gibt es noch Überraschungen, gibt es noch Staunen? Kathedralen sind mehr und mehr zu Museen geworden, zu Fotoobjekten, zu Überbleibseln einer Vergangenheit. Dass sie Vorboten des Himmels waren, hat man vielleicht mal gehört, es könnte noch Teil des schulischen Bildungsguts sein. Aber der Himmel kümmert die meisten nicht mehr sehr. Abhandengekommen ist vielen die Stille, die innere Ruhe, das Schauen, das Zeithaben und das Staunen, das Beten, das Gespür, dass der Kirchenraum sozusagen eine „Seele hat“, bewohnt ist. Der Mensch ist anders geworden, unsere vorherrschende Kultur ist anders geworden. Sie tut sich schwer mit Gott. Die aktuelle Kultur hält den Himmel eher geschlossen.

Oder hat sich vielleicht der Zugang zum offenen Himmel verlagert, verschoben? Vor allem bei den Jüngeren: Von den Kirchen weg, aber woanders hin? Bei Trauerfeiern z.B. bringen Angehörige öfter eigene Lieder mit – keine Kirchenlieder aus dem Gotteslob, sondern Lieder aus der Popkultur, Lieblingslieder des / der Verstorbenen. Diese Lieder drücken oft die Sehnsucht aus nach innerer Heimat, nach Geborgenheit, auch nach einem Wiedersehen über den Tod hinaus. Ich denke, die Sehnsucht der Menschen bleibt ziemlich konstant, quer durch die Zeiten – aber sie sucht sich eine neue Sprache, andere Bilder, nicht die oft formelhaft gewordene Sprache der Kirchen. Und vom „Himmel“ ist dann durchaus weiter die Rede. In dem sehr populären Kinofilm „Knockin´ on Heaven´s Door“ wollen die sterbenskranken jungen Helden an die Himmelstür klopfen – offensichtlich in der Hoffnung, dass sie aufgeht. Der Himmel wird heute sehr stark mit der Erfahrung von menschlicher Liebe und Zuneigung verbunden, und das ist ja auch nicht verkehrt. „Da geht mir das Herz auf“ ist nah verwandt mit „Da geht mir der Himmel auf“. In der Sprache eines Kirchenlieds: Ubi caritas et amor – ibi Deus est. Wo Güte und Liebe, da wohnet Gott.

Wir sollten also nicht über die Glaubensferne der heutigen Zeit schimpfen, sondern versuchen, Brücken zu bauen. Bei der Taufe eines kleinen Kindes ist das oft gut möglich. Die jungen Eltern sind inzwischen meist kirchenfern. Aber die Taufe bedeutet ihnen viel. Sie lieben ihr Kind, sie erleben sein plötzliches Dasein oft wie ein großes Geschenk, sind voll von Dankbarkeit (wem gegenüber?) und kommen von selber in die religiöse Sprache: „Ein Wunder!“, so sagen sie, diese aufgeklärten und modernen jungen Leute von heute. Ein Kind zu bekommen ist wohl eine der tiefsten Erfahrungen des Menschseins. Und sie hat mit Gott zu tun, ist eine Art Gotteserfahrung. Wohin sonst mit unserem Dank? Woher kommt das Geschenk? Spüren wir dann, dass nicht das Machen und Tun und unsere Leistung und Planung allein zählt? Es wird ergänzt und getragen von der Dankbarkeit, von der Demut, vom Annehmen des Geschenks, von einer göttlichen Kraft, die das Kind willkommen heißt und schützend begleitet. Von guten Mächten wunderbar geborgen – das ist dann ein Lied, auf das man sich leicht einigen kann.

Liebe Christen, helfen Sie bitte alle mit beim Brückenbau – z.B. zwischen den Generationen. Ganz behutsam, nicht aufdringlich. Auch wer nicht mehr in der Kirche zuhause ist, kann Glauben haben. Auch wem die Sprache des Glaubens und der Gebete abhandengekommen ist, kann im Herzen etwas spüren – von GOTT. Vielleicht kann man ins Gespräch kommen und sich helfen, die großen Erfahrungen des Lebens zu deuten – wie gerade am Beispiel der Taufe. Vielleicht kann man sich vor dem flüchtigen Umgang mit dem Leben bewahren.

Wenn das alles geschieht, dann öffnet sich der Himmel. Immer wieder neu.