Staunen und eilen
Predigt am 31.12.2021
Zum Jahreswechsel und Neujahr kommt einem so einiges in den Sinn: mögliche Rückblicke auf das vergangene Jahr, Corona natürlich, das Hochwasser, Ereignisse im ganz persönlichen Bereich. Das Weihnachtsfest, das wieder so schnell vergangen ist und noch
nachklingt. Ausblicke auf das neue Jahr 2022, und möglicherweise gute Vorsätze. Dabei bleibt es wahrscheinlich bei dem, was im alljährlichen beliebten Silvesterfilmchen „Dinner for one“ (“Der 90. Geburtstag“) so ausgedrückt wird: „The same procedure as
every year“ - derselbe Ablauf wie jedes Jahr. Die großen Veränderungen im neuen Jahr sind wohl eher die Ausnahme. Es ist schon so: weithin dasselbe – und weiterhin Corona als die dunkle Wolke über allem.
Ich möchte mich nun nicht in Zeitanalysen ergehen, sondern schlicht und einfach bei meinem Handwerk bleiben, der Auslegung des Evangeliums. Lukas schaut noch weiter auf die Hirten. Sie haben die Botschaft der Engel gehört. Und dann – achten Sie bitte auf
die Verben – eilten sie nach Bethlehem, fanden das Kind und seine Eltern, erzählten alles, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Und die Zuhörer staunten über die Worte der Hirten. Diese kehrten danach zurück,
rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten. Maria aber bewahrte alles in ihrem Herzen und dachte darüber nach.
Am Anfang also: Hören und sehen und sicher auch staunen. Dann: eilen und erzählen. Schließlich, bei den Hirten: zurückkehren zu den Herden, in den Alltag, und Gott rühmen und preisen. Und bei Maria: alles im Herzen bewahren und darüber nachdenken.
Da haben wir in ein paar Verben, in ein paar Tu-Wörtern, das ganze Christsein!
Hören. Glaube kommt vom Hören. Wir haben uns die Weihnachtsgeschichte und Osterbotschaft nicht selbst ausgedacht. Die Botschaft kommt auf uns zu. Durch Engel, sagt die Bibel. Das heißt letztlich: durch Gott selbst. Er offenbart sich, er teilt sich
mit. Und dann geht die Botschaft von Mund zu Mund, durch Zeugen. In dieser Reihe der Zeugen stehen am Anfang die Hirten, steht dann die ganze Kirche, stehen unsere Eltern und alle, die unseren Glauben angeregt und bereichert haben.
Hören wir heute noch? Spricht Gott in unser Leben hinein? Hören wir ihn mit unserem Herzen?
Das nächste Stichwort: Staunen. Das ist das Grundgefühl, sozusagen „die Mutter des Glaubens“. Menschen haben schon immer gespürt: Wir können die Welt nicht aus sich selbst heraus verstehen. Das Leben ist ein Mysterium, ein Geheimnis. Und das tiefste
Geheimnis hat den Namen „Gott“.
Dass er Mensch wird – dass der Tod nicht das letzte Wort hat – dass Jesus aufer-steht von den Toten – dass Wunder möglich sind.
Schon ein neugeborenes Kind – das ist wie ein Wunder und alles andere als eine Selbstverständlichkeit! Eltern sagen: Da haben wir das Staunen wieder gelernt!
Staunen wir immer noch über diesen Gott, „über seine großen Taten und Wunder“, wie die Bibel sagt?
Sodann: Die Hirten eilten nach Bethlehem. Im Laufschritt. Wichtiges schiebt man nicht auf die lange Bank. Bei Wichtigem sagt an nicht: „Das hat noch Zeit, bis ich alt bin. Das kann noch warten!“ Eilen also, weil etwas drängt, weil es ansteht -
jetzt! „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde, heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn er kommt!“, heißt es in einem Lied. Jesus eilte durch seine drei letzten Jahre. Die Sache Gottes duldete keinen Aufschub. Jetzt, heute – das war
sein Zeitgefühl.
Neigen wir dazu, die Dinge aufzuschieben, auf die lange Bank zu schieben, „irgendwann“ anzugehen? Oder spüren wir: Der Zeitpunkt, wo Gott uns begegnen will, ist immer der gegenwärtige Augenblick, und der wichtigste Mensch ist immer der, der dir gerade
gegenübersteht – jetzt?
Es heißt weiter: Die Hirten erzählten, was ihnen über dies Kind gesagt worden war.
Erzählen – so wurde der Glaube weitergegeben – in biblischen Geschichten. Damit wuchsen wir als Kinder auf. Zum erwachsenen Glauben gehört, dass wir unsere Erfahrungen mit dem Glauben bedenken und erzählen, ins Gespräch bringen: Wo hat mir der Glaube
geholfen? Wie ist er mit mir gewachsen? Was ist mir so wertvoll, dass ich es meinen Kindern oder Enkeln weitererzählen möchte? Ohne solches Erzählen – von Christ zu Christ – würde der Glaube immer dünner. Erzählen wir in diesem Sinne vom Glauben, oder
reden wir, wenn wir zusammen sind, eher von den Skandalgeschichten, an denen die Kirche ja förmlich erstickt – auch im Jahr 2021?
Zurückkehren ist das nächste Stichwort. Die Hirten lassen sich nicht beim Stall von Bethlehem häuslich nieder. Vermutlich haben sie dann in ihrem ganzen Leben keinen einzigen Engel mehr gesehen. Der Glanz des Herrn traf sie nur ein einziges Mal. Sie
kehren zurück in ihren Alltag und sind Tag und Nacht bei ihren Herden. Aber etwas vom himmlischen Licht bleibt in ihren Herzen. Sie leben weiter, wie sie es gewohnt sind – und doch anders: mit einer Hoffnung im Herzen. Mit einer anderen Ausrichtung.
Geht der Glaube in unser alltägliches Leben ein, so wie das Salz in der Suppe?
Am Ende rühmen und preisen die Hirten Gott. Sie, die wahrscheinlich eher wortkarg waren oder eher rau im Reden, finden nun ganz andere, ungewohnte Töne.
Möge das auch an unserem Ende stehen: dass wir ins Lob Gottes einstimmen, dass wir es immer wieder einüben, in jeder Messfeier, im Gebet und Gesang – und durch unser ganzes Leben!
Über Maria wird noch hinzugefügt: Sie bewahrte alles in ihrem Herzen und dachte darüber nach. Maria steht da wie ein ruhender Pol. Sie verarbeitet und fügt in Ruhe alles zusammen – alles: das Schöne und das Schwere, das Erfreuliche und das
Unverständliche. Alles, was Gott ihr zugedacht hat. Alle Spuren Gottes. Das bewahrt sie in sich auf, das sammelt sie in sich – und kann es hervorholen, wenn sie es braucht. So bekommt sie die Kraft, weiterzugehen in eine Zukunft, die sie nicht kennt. Sie
geht und vertraut zuversichtlich, dass Gott mitgeht und sie nicht verlässt, selbst nicht unter dem Kreuz.
Diese Zuversicht wünsche ich Ihnen und uns allen fürs kommende Jahr!