Hausbesuch bei Elisabeth
Predigt am 19.12.2021
Eigentlich ist das eine ganz normale Geschichte. Zwei schwangere Frauen besuchen sich, wie Millionen Frauen tagtäglich überall auf der Welt. Die Jüngere, Maria, hat dafür einen weiten anstrengenden
Weg auf sich genommen. Durch das Gebirge, über Stock und Stein. Sie will hin zu ihrer Verwandten Elisabeth, die ebenfalls ein Kind erwartet – den späteren Johannes den Täufer. Worüber reden zwei Frauen
wohl, wenn sie schwanger sind? Vermutlich über die Probleme und Beschwerden, die diese „anderen Umstände“ mit sich bringen. Wie „umständlich“ vieles geworden ist, welche Risiken bestehen.
Bei Maria und Elisabeth schien das anders zu sein. Dabei hatten beide allen Grund, sich Sorgen zu machen. Elisabeth hat in unserem heutigen Verständnis als Spätgebärende eine Risiko-Schwangerschaft.
Maria dagegen ist eine noch sehr junge unverheiratete Frau, die als solche von der Familie und den Leuten im Dorf höchst argwöhnisch gemustert wird. Sie hat sich nicht an die richtige Reihenfolge
gehalten!
Doch die beiden Frauen sind in „guter Hoffnung“. Ein schönes Wort: guter Hoffnung zu sein! Darüber sprechen sie. Hoffnungsvoll! Elisabeth preist die Jüngere selig, weil Maria Gott geglaubt und zu ihm
JA gesagt hat. Und anders, als es heute wohl üblich wäre, redet Elisabeth nicht gleich über ihr eigenes Kind und die Träume und Karriereaussichten, die sie daran knüpft. Nein, sie redet über das Kind
der anderen, Maria, ihren „Herrn“, wie sie sagt.
Und Maria selbst? Ihr Hoffnungsfunke wächst. Ihr JA zu Gott hat wieder neue Kraft und eine Stütze bekommen durch das Verständnis und die Freude ihrer Verwandten. Solche Stützen brauchen wir! Gemeinsam
hoffen – das schenkt eine große Energie! Maria staunt – und vertraut weiter. Gott, so ahnt Maria, hat wirklich einen Plan mit ihr. Er setzt sich dabei über die herrschenden Sitten hinweg. Er kümmert
sich nicht um das Gerede der Leute, die schiefen Blicke der Nachbarn, die Vorwürfe der Familie. Gott sucht sich aus: Elisabeth, die alte Frau eines Priesters, und Maria, die ganz junge Verlobte eines
Handwerkers. Dabei kommt Gott zur Unzeit. Die eine Frau ist eigentlich zu alt und bekam nie Kinder – und die andere ist zu früh dran: zu jung und ohne Ehemann. Doch weder Maria noch Elisabeth
diskutieren lange herum über das „Wenn und Aber“. Sie vertrauen ganz schlicht Gott und seinen Absichten – auch wenn sie sie noch nicht verstehen. Wenn man wissen will, wie Glaube geht, kann man ruhig
auf diese beiden Frauen der Bibel schauen. Besonders auf Maria.
Etwas anders steht es da mit den Männern! Sie bleiben irgendwie farblos und im Hintergrund. Das ist ungewöhnlich für die damalige Zeit und auch für die Bibel, in der sich doch fast alles um die Männer
dreht! Der Priester Zacharias und der Bauhandwerker Josef sind hier eher Nebenfiguren, Erfüllungsgehilfen in Gottes Plan. Dem einen, Josef, erscheint ein Engel im Traum. Der gibt ihm sozusagen
„Nachhilfe“ und sagt unmissverständlich an, was jetzt zu tun ist. Der andere, der alte, mit der Heiligen Schrift vertraute Priester Zacharias, ist zum Schweigen verurteilt, weil er das Wunder nicht
glauben kann. Zwei Männer also aus zwei unterschiedlichen Welten, die nach ihrer jeweiligen „Nachhilfe“ ebenfalls bereit sind, sich Gottes Wegen zur Verfügung zu stellen und da zu sein für die ihnen
anvertrauten Kinder.
So sind die beiden etwas zögerlichen Männer und diese starken Frauen in je eigenem Tempo dabei, Ja und Amen zu sagen und zu glauben, „dass bei Gott kein Ding unmöglich ist“. Besonders auf ihnen, den
Frauen, liegt hier der Segen – sie bringen die Geschichte weiter. Die beiden Frauen vertrauen Gott, und sie vertrauen sich ihm an: sich, ihr Leben und ihre Kinder. Johannes und Jesus. Darum verstehen
sich die beiden auch so gut. Der Hausbesuch Marias wird in der kirchlichen Tradition „Mariä Heimsuchung“ genannt. Ein schönes altes Wort: Heimsuchung. Die beiden sind Suchende und finden in der
Begegnung „heim“ – zu sich, zu ihrer Aufgabe, zu Gott. Das ist fürwahr eine „Stern-Stunde“ im Leben der beiden! Sie sind sich so vertraut und verstehen einander. Sie sind nicht nur blutsverwandt,
sondern sie sind Geistesverwandte – und darauf kommt es an. Was für ein Glück, solche Geistesverwandte anzutreffen – gerade heute! Maria und Elisabeth teilen eine große Hoffnung. Die beiden klingen
in dem, was sie sagen, wie Prophetinnen.
Ob wir das auch schon mal erlebt haben? Begegnungen mit ganzem Herzen, mit vollem Tiefgang? Oder werden wir immer einsamer, werden die Kontakte immer oberflächlicher? Keine Geistesverwandten in Sicht?
Selten nur ein wirkliches Gespräch? In vielen Völkern Afrikas und Asiens ist das anders. Da holt jedes Gespräch, ja selbst jede Geschäftsverhandlung weit aus – man nimmt sich Zeit, man fragt erstmal
nach der Familie, den Kindern, dem Wohlbefinden. Und niemand darf dieses Ritual stören oder abkürzen. Oft dauert dieses Kennenlernen, dieses „Warming up“ länger als die eigentlichen späteren
Verhandlungen. Aber das Wissen um den anderen schafft Nähe, Vertrautheit – und Vertrauen.
Echte Begegnungen passieren nicht ganz so oft. Sie haben dann aber durchaus mit dem „heiligen Geist“ zu tun, der uns unvoreingenommen und mit offenem Herzen zum anderen hinführt, der mitfühlt, Nöte und
Hoffnungen teilt. Er lässt uns über unsere eigenen engen Grenzen hinausschauen und lenkt unseren Blick ins Offene – und dadurch hin zu Gott. Echte Begegnungen, zwischen Geistesverwandten – wie die
zwischen Maria und Elisabeth – können zum riesengroßen Segen werden, für uns und für andere.