Allen Menschen das Heil
Predigt am 05.12.2021
Haben Sie noch den letzten Satz des Evangeliums im Ohr? Ja, er ist eigentlich überraschend und ziemlich aufregend: „Und alle Menschen werden das Heil unseres Gottes schauen.“ Da steht wirklich: Alle Menschen.
Damit haben wir nicht gerechnet. Wir sind anders groß geworden. Bei uns Katholiken hieß es lange: Außerhalb der Kirche, der katholischen, kein Heil! Und die Protestanten wussten auch genau, wer in den Himmel kam: Katholiken vielleicht gerade noch,
aber ganz hinten, sozusagen auf den billigen Stehplätzen. Wichtig war, eine persönliche Beziehung zu dem Heiland Jesus zu haben. Dieser auf Jesus bauende Glaube des Einzelnen machte das Himmelstor auf. Katholiken und Protestanten sind aber in den
letzten Jahrzehnten deutlich stiller und zurückhaltender geworden, wenn es darum geht, wer Gottes Heil schauen kann, anders gesagt: wer „in den Himmel kommt“. Umso lauter und leidenschaftlicher waren in dieser Frage aber in den letzten Jahren die
Stimmen vieler Muslime, der Islamisten; sie geben sich gern als öffentliche Verteiler für die Himmelsplätze, für das Paradies, und wir Christen, wir sogenannten „Ungläubigen“, haben da keinerlei Chancen. Falscher Glaube, und das Heil ist verspielt.
Auf diesem Hintergrund noch einmal der Satz Johannes des Täufers: „Und alle Menschen werden das Heil unseres Gottes schauen.“
Dieser Satz trifft mich und stimmt mich froh. Denn so viele Ausgrenzungen und Spaltungen, die abwerten und verunglimpfen, ziehen sich durch unsere Zeit – und durch alle Zeiten. Wir – gegen den Rest der Welt. Wir Deutsche, wir Katholiken, wir Weiße,
wir Mittelstandsbürger, und auf der anderen Seite die Ausländer, die Andersgläubigen, die Farbigen, die „Proleten“ (oft haben wir hässliche Bezeichnungen für die Anderen!). Aber hier jetzt, bei Johannes dem Täufer, wird uns eine starke Gemeinsamkeit
vor Augen gestellt: Alle sind zum Heil berufen. Wirklich alle. Gott sortiert nicht vor, er erträgt die Unterschiede.
Seine Tür steht offen. Man muss nur eintreten. Das ist die Botschaft Jesu: Ich bin gekommen, dass sie – alle – das Leben haben und es in Fülle haben. Angesagt wird Heil und Heilung, Geschwisterlichkeit und Versöhnung, Frieden und Wertschätzung eines
jeden Menschen.
Und die Religionen? Die blieben nicht auf diesem Niveau, sondern sahen sich so, wie Aldi vielleicht Lidl oder Rewe sieht: als lästige Konkurrenten, an die man auf dem Markt der Wahrheit Mitglieder und Kunden verlieren kann. Da sind ihre Heiligen
Schriften, der Koran und die Bibel, viel offener. Im Koran etwa heißt es (Sure 57,4): „Gott ist mit euch, wo immer ihr auch seid.“ Er ist der barmherzige – das ist die wichtigste Eigenschaft Gottes. Seine Liebe „umfasst alle Dinge“ und alle Menschen.
Seine Absicht ist es, viele Mitliebende unter den Menschen zu gewinnen, die Gottes Barmherzigkeit weitergeben. Der Islam sieht Jesus als Gabe Gottes ohne alle Grenzen. Alle sollen sich an Jesus ein Beispiel nehmen und versuchen, durchlässig zu sein
für die Absichten Gottes, für seine Liebe zum Menschen.
Vor zwei Jahren – 2019 – traf sich Papst Franziskus in einem ganz muslimischen Land, in Abu Dhabi, mit der wichtigsten Autorität des Islam, dem Großimam der Universität Al-Azhar in Kairo. Beide verabschiedeten ein „Dokument über die
Geschwisterlichkeit aller Menschen“. Auf höchster Ebene wird da festgestellt: „Der Glaube sieht in den Anderen Brüder und Schwestern, die man unterstützt und liebt. Gott eint die getrennten Herzen. Alle Menschen, die auf unterschiedliche Weise an ihn
glauben, mögen diese menschliche Geschwisterlichkeit leben, einander unterstützen, besonders die Ärmsten, und so zu einem universalen Frieden beitragen.“
Wir alle sind Kinder Gottes. Wir alle sind seine Schöpfung, seine Menschen. Wir alle haben ein „Gottesgen“ in uns. Und das reicht tiefer als alle Unterschiede der Religionen und Konfessionen. Ein Gott für uns alle. Ein Heil für uns alle. Eine
Menschheit, trotz aller Gegensätze und Unterschiede. Johannes der Täufer macht uns darauf aufmerksam. Und er weist hin auf Jesus Christus, der in den wenigen Jahren seines Wirkens – nur drei Jahre - wie ein Blitzlicht aufleuchtete und die Welt
aufklärte über Gott, seinen Vater, den Mitgeher der Menschen. In seiner ersten Predigt sagt Jesus: „Ich bin gesandt, dass ich den Armen die frohe Botschaft verkünde.“ Zu den Worten traten seine Taten, die auch die Ausgestoßenen, die Aussätzigen, die
„Zöllner und Sünder“ heimholten in die Liebe Gottes. In jeder Messe hören wir an ganz zentraler Stelle, in den Wandlungsworten: „Das ist mein Blut, das für euch und für Alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden!“
Ein schöner Gedanke, der den Frieden stärkt: dieses für alle! Nehmen wir ihn mit in den Advent. Menschwerdung Gottes im Menschen und in der ganzen Menschheit: global, universal, ohne Grenzen, Grenzen überschreitend, nicht gepachtet für Konfessionen
oder eigene Interessen. Für euch und für alle – das ist im Sinne Jesu.