Feigenbaum und Klimawandel

Predigt am 14.11.2021

Mit dem Schöpfungsbericht geht es los in der Bibel. Ganz zu Anfang steht die Erschaffung des Lichts: „Finsternis lag über der Urflut. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.“
Das Leben auf der Erde beginnt mit dem Licht. Und: Das Leben auf der Erde endet in der Dunkelheit. Markus deutet im Evangelium an, wie die Lichter ausgehen. Es wird wieder dunkel sein. „Die Sonne wird sich verfinstern. Und die Sterne werden aus dem Himmel fallen.“ Es klingt so, als würde die Schöpfung wieder abgebaut, zurückgefahren, wieder rückgängig gemacht.

Es wird dunkel. Die Lichter gehen aus. So empfinden eine Menge Leute, wenn sie an die Zukunft denken. Vor etwa dreihundert Jahren begann die optimistische Zeit der „Aufklärung“, die viel Licht, viel „Erleuchtung“, viel Wissen und viel Wissenschaft versprach. Ein ständiges Fortschreiten und Fortschritt hin zum Besseren. Aber man erlebte dann, dass das Ganze sehr zweischneidig, sehr ambivalent war. Mit Autos z.B. kam man schnell voran, aber sie verpesteten die Luft. Das Digitale eröffnete per Internet ungeahnt viele Türen der Information, aber viele hockten ständig vor dem Bildschirm und hatten Freunde bei Facebook, aber kaum noch im wirklichen Leben. Immer dieses Aber!
Und so ist das Licht des Fortschritts und einer strahlenden Zukunft sehr heruntergedimmt. Die Angst geht um: Kinder werden es eher nicht besser haben als ihre Eltern; sie vor allem müssen den Klimawandel ausbaden und viele andere Riesenprobleme. Etwas Lähmendes liegt auf den Gemütern, verstärkt durch Corona – eine große Ausweglosigkeit: Was dringend zu tun ist, wird nicht oder viel zu langsam getan. Der Zeiger der Weltuhr steht fünf vor Zwölf oder eins vor Zwölf oder fünf nach Zwölf, je nach Kommentator. Die Menschheit nimmt es hin und lenkt sich ab. Und die Zuversicht wird immer dünner, oder schwindet ganz. Woher sie auch nehmen – die Zuversicht?

Apokalypse. Das Wort drängt sich immer mehr nach vorn. Apokalyptische Zeiten und Ängste, Weltuntergangsstimmung. Jede Zeit kennt diese Stimmung. Wie mögen die Menschen in den großen Kriegen empfunden haben, unter Hitler und Stalin, etwa im Jahr 1944? Oder in den großen Umbruchzeiten, als kaum ein Stein auf dem anderen blieb? Immer geht dann eine vertraute Zeit, eine vertraute Welt zu Ende. Auch die Art von Kirche, wie wir sie kennen, und wie sie uns vertraut ist. Sie bleibt so nicht, und das Neue, das entsteht, ist noch nicht recht in Sicht. Eine Übergangszeit – alles andere als gemütlich und bequem! Eine Zeit, in der man sich und die anderen stützen muss - aber die anderen bleiben wegen Corona zuhause.
In der Zeit des Neuen Testaments hatte das apokalyptische Denken Hochkonjunktur. Als die verhassten Römer im Jahr 70 n. Chr. den Tempel in Jerusalem völlig zerstörten, da bebte für die Juden wirklich die Erde! Die „Wohnung, das Haus Gottes“ – vernichtet, dem Erdboden gleichgemacht? Da stürzte die innere Heimat und Sicherheit der Juden zusammen. Auf was kann man sich noch verlassen, was ist noch „fest“, wenn selbst der Tempel verschwindet? Wir hören in der Leidensgeschichte Jesu, dass „die Erde bebte“, als Jesus am Kreuz starb. Das heißt: Die ganze Schöpfung ist erschüttert, wackelt und bebt. Die alte Welt, in der man seine Sicherheit fand, geht zu Ende. Aber etwas Neues zieht herauf. Etwas, das noch niemand recht erfassen kann. Etwas, das wir mit den Worten „Auferstehung“ oder „Reich Gottes“ oder „Ostern“ andeuten.

Im Evangelium benutzt Jesus alle diese apokalyptischen Bilder vom Untergang ganz selbstverständlich. Seine Hörer und Hörerinnen kannten die Bilder so gut wie wir heute das Wort „Klimakatastrophe“. Aber Jesus stellt diese Bilder in einen anderen Zusammenhang. Sie sind nicht mehr Drohbotschaft, die die Angst noch verstärkt. Sie sind Zeichen der Hoffnung. Da lässt kein Gott es donnern und krachen, um die Menschen einzuschüchtern und wieder auf den rechten Weg zu bringen. Nein, für Jesus ist Hoffnung angesagt, Hoffnung und Zuversicht. Die alte totgeweihte Welt geht zu Ende. Alles ist vergänglich. Alles ist relativ. Übrigens auch die Kirche! Alles steht im Zeichen des Todes. „Wir sind nur Gast auf Erden“, singen wir und machen uns damit unsere Grenzen klar. Nur Gott allein lebt und stirbt nicht, er ist in der Sphäre der Ewigkeit. Und die teilt er aus an uns! „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!“ Er allein lebt, er allein ist ewig. Und mit ihm leben alle, die an Seinem Leben Anteil genommen haben – in der Taufe. „Doch den Tag und die Stunde kennt niemand“, sagt Jesus gerade denen, die den Tag und die Stunde herbeireden und darüber ganz genau Bescheid wissen wollen. „Bleibt wach, seid wachsam,“ fügt Jesus noch an. Das ist vielleicht das entscheidende Wort: Wachsam sein, aufmerksam und geistesgegenwärtig sein für die „Zeichen der Zeit“, für das, „was in der Luft liegt“. Für den, der auf uns zukommt und in uns ankommen will.

„Lernt vom Feigenbaum“, heißt es bei Jesus noch. Der Feigenbaum ist einer der wenigen Bäume in Israel, die ihre Blätter verlieren und im Winter kahl sind. Der Baum ist entlaubt, aber jeder weiß, dass er nicht kahl bleibt. Im Frühling und Sommer sprießt es wieder, der Baum blüht und steht wieder da „in Saft und Kraft“, in voller Lebensfülle. So haben nicht die Finsternis und der Tod das letzte Wort. Das letzte Wort hat Gott in seiner Herrlichkeit – sein Kommen und Anklopfen bei uns und bei mir, heute und morgen und immer wieder.