Werden, wie Gott uns gedacht hat: Zum Fest Allerheiligen

Predigt am 01.11.2021

Möchten Sie ein Heiliger, eine Heilige sein? In der Alltagssprache war das früher fast eher ein Schimpfwort. „Das ist vielleicht ein komischer Heiliger!“, sagte man da über einen Menschen, der wie eine Spaßbremse wirkte, oder wie ein Besserwisser, oder wie jemand, der dauernd in die Kirche rannte und dabei ziemlich weltfremd wirkte. Weltfremd – ja, das verbanden viele mit einem Heiligen. Manchmal musste ich mir selber anhören: Du als Pastor bist ja gar nicht so heilig, wie ich befürchtet habe.

Auch mit den offiziellen kirchlichen Heiligsprechungen tun sich heute viele Menschen schwer. Viel zu oft sind es Päpste und Ordensgründer, die heiliggesprochen werden. Eine heilige Politikerin oder ein heiliger Wirtschaftsführer oder Spitzensportler – das wäre doch mal was Anderes! Oder geht das nicht, im öffentlichen Leben heilig zu sein, weil man eben tricksen und manchmal lügen und immer wieder kräftig die Ellenbogen gebrauchen muss? Darf man als Heiliger sündigen, Fehler und Schwächen ha-ben? Hatten Heilige was zu beichten? Von vielen heißt es, dass sie besonders lange im Beichtstuhl waren. Vielleicht, weil sie sehr genau hinschauten in ihr eigenes Leben und spürten, wie sehr sie Gottes Vergebung brauchten. Heilige lagen nie vor sich selbst auf den Knien, sondern vor Gott! Sie sahen sich nicht als die großen Ausnahmegestalten. Sie erlebten sich als angefochtene, als angeschlagene Menschen. Sie waren auch alles andere als weltfremd. Sie sahen die Welt als ihr Arbeitsfeld. Und vor allem: Sie sahen Gott als ihr Ziel.

Was heißt das eigentlich – heilig? Geht man von der Wortbedeutung aus, so hat Heil – also auch heilig – immer etwas mit „Ganz-Sein“ zu tun. Ganz sein – nicht aufgespalten, nicht innerlich zerrissen. Leib und Seele, Geist und Herz als Einheit.
In der Bibel kommt noch die Bedeutung „von Gott berufen“ dazu. Ein heiliges Volk, eine heilige Kirche, von der wir im Credo sprechen: Das meint nicht sünden- und makellos! Wie viel hat auch die Kirche gesündigt! Die Reformation gibt es ja nur, weil es die Sünden und Wunden der Kirche gab und gibt. Und wie stark haben die Missbrauchsfälle das Vertrauen in die Kirche beschädigt! Sündig ist sie, ja, – und dennoch von Gott berufen!
Gott bietet uns sein Heil an, damit wir heil werden, also so werden, wie er uns gedacht und gewollt hat. Heiligkeit ist kein Ausgangspunkt, sondern ein Weg und ein Ziel. Wir sind eingeladen, so zu leben, dass wir dem Ziel näherkommen.

Es geht also bei Heiligkeit nicht um Weltflucht, um fromme Verrenkungen oder Selbstverleugnung. Nicht um ein Ausnahmeleben, das als Ziel jedem normalen Menschen zu hoch sein muss. Sondern es geht wohl eher darum, immer mehr zu sich selbst zu finden, immer mehr im Einklang mit Gott und dadurch mit sich selbst zu stehen. Heilig – das heißt: so zu werden, wie Gott uns gedacht hat. Ein Jugendlicher hat es einmal so formuliert: Ein Heiliger ist auch nur ein Mensch, – aber ein Mensch, der immer wieder neu anfängt. Ja, wir dürfen vertrauen, dass wir alle gemeinsam berufen sind, Kinder Gottes zu sein. Und das zu leben, immer wieder. Immer wieder neu, trotz allem Unheil.

Doch wie kann das konkret werden? Wie können wir heilig werden - oder selig, wie ein anderes Wort aus der Bibel dieses Ziel nennt? Im Evangelium hörten wir gerade die Seligpreisungen, den Auftakt der Bergpredigt Jesu.

Selig, die arm sind vor Gott.
Selig die Trauernden.
Selig, die keine Gewalt anwenden.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit.
Selig die Barmherzigen.
Selig, die ein reines Herz haben.
Selig, die Frieden stiften.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden.


Klingt sehr anders als das, was uns die Gesellschaft heute als Glück und Seligkeit verkaufen will!
Es ist keine Botschaft an die Starken dieser Welt, die alles aus eigener Kraft und Leis-tung hinkriegen. Es ist vielmehr eine zuversichtliche Botschaft an all die, die sich täglich neu ausliefern an das Leben, wie es wirklich ist. Die nicht nur an sich selbst denken, sondern anderen beistehen und ihnen voll Liebe begegnen. Es ist auch eine gute Botschaft für alle, denen das Leben übel mitspielt. Die für ihre Überzeugungen belächelt, verspottet und verfolgt werden. Selig sind die, die auf Gott blicken mit großen Erwartungen!

Haben wir noch große Erwartungen? Wir Menschen haben weithin verlernt, uns nach dem Himmel Gottes zu sehnen. Wir haben vergessen, dass wir Pilger unterwegs sind. Unser Horizont ist geschrumpft auf das, was jetzt da ist. Das hat viele allzu oft satt und selbstzufrieden gemacht. Aber etwas schenken kann man nur Menschen, die sich noch etwas wünschen. Weiterentwickeln können sich nur Menschen, die sich noch nach tieferen Erfahrungen sehnen.

Heilige – das sind wohl nicht die Bequemen, die Satten und Angepassten. Das sind eher die Unruhigen, die gegen den Strom schwimmen und anders leben. Die mit der großen Sehnsucht nach Gott: Es muss doch mehr als alles geben, womit wir uns und unser Leben anfüllen! Es sind Menschen, die sich ganz auf Gott einlassen; das ist ihnen wichtiger als die Zustimmung und der Beifall der Menschen.

Wir feiern das Fest Allerheiligen – und bitten um die Kraft auf dem Weg, heil zu werden an Leib und Seele. Gott kann wirken, auch wenn wir träge und mutlos geworden sind. Und wer sich ganz auf Gott einlässt, der wird verändert. Wird vielleicht – wirklich und erkennbar – ein Heiliger.