Erntedank - noch staunen können

Predigt am 03.10.2021

Wir feiern Erntedank, und in diesem Dank drücken wir aus: Der Mensch ist nicht der eigentliche Macher des Lebens. Gott schenkt mit der Natur und den Früchten der Erde immer wieder genug zum Leben. „Danken heißt: sich vor Gott hinsetzen und sich freuen an der Fülle dieser Gaben.“

In einer Reportage habe ich von einem Mönch im Sauerländer Ort Meschede gelesen, Pater Reinald. Ein Mönch im Kloster, aber sein Reich dort sind Ställe und Melkmaschine, Trecker und Kälber, Rinder und Masthähnchen. Der Pater leitet die Landwirtschaft der Benediktinerabtei – er steht so in beidem drin: im geistlichen Leben des Klosters genauso wie im bäuerlichen Leben. Das bringt ihn zu interessanten Einsichten.

Für Naturschwärmerei – häufig anzutreffen bei Stadtmenschen – ist der Pater nicht zu haben. Auf das aktuelle Thema „Tierhaltung“ und „Tiere töten“ angesprochen sagt er: „Wissen Sie, der Pute ist es doch letztendlich egal, ob sie an Altersschwäche oder beim Schlachter stirbt. Aber natürlich müssen wir Menschen aufpassen, uns beim Töten der Tiere nicht zu empfindungslosen „grobschlächtigen“ Mitgeschöpfen zu entwickeln.“ Das sei doch ein wichtiger Aspekt von Erntedank, fügt er hinzu: zu erkennen, dass ich immer auch auf Kosten anderer lebe – etwa der Tiere. „Das hat etwas mit Schuld zu tun,“ fügt er an. „Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen: keiner steht für sich allein, wir nehmen anderen Lebewesen das Leben. Das ist schon eine Form von Schuld. Daher der Erlösungsgedanke: Wir kommen da allein nicht raus!“

Natürlich feiern die Mönche im Kloster auch Erntedank – mit einem Gottesdienst und einem guten Essen danach. Den Dank schreiben die Menschen im Kloster ganz groß, denn sie spüren ja ganz tief, dass sie ihr Leben einem anderen verdanken, der sie trägt und hält. Aber beim Danken, auch beim Erntedank, sollte man genau hingucken, meint der Pater: „Unsere Gesellschaft hat keine Ahnung mehr, wie bäuerliches Leben heute geht. Man muss sich nur die Kinderbücher anschauen – das ist noch so wie vor hundert Jahren, da wird immer noch die Sense rausgeholt und die Kuh von Hand gemolken. Dass das heute alles mit Maschinen gemacht wird und auch gemacht werden muss, steht da nicht. Dennoch bleibt es mühselig, ein gutes Nahrungsmittel herzustellen und zu liefern! An die harte Arbeit, die dafür nötig ist, sollte man auch mal beim Erntedankfest denken!“

Der Pater weiß, wovon er redet: er melkt Kühe und hilft Rindern beim Kalben, schaufelt Mist, macht auch die dreckigen Arbeiten selber. „Geistliches Leben,“ sagt er, „heißt in meinem Fall nicht klösterliche Zurückgezogenheit, ständig Kapelle und ein spirituelles Aha-Erlebnis nach dem anderen – es heißt: Durchstehen eines harten Berufsalltags! Wir sind vom Wetter abhängig, wir beten um die Gesundheit der Tiere, oder dass die Kundenkontakte klappen und unsere hochgelobten Puten auch wirklich schmecken. Auch diesen Berufsalltag verstehe ich als Gottesdienst.“ Und er fährt fort: „Unsere Wurst ist biochemisch gesehen nicht anders als die vom Metzger sonst, aber sie ist von Leuten gemacht, die mit ganzem Herzen an diesem Gott hängen. Mit dieser Wurst wird Gott greifbar – vielleicht mehr als in einer verkopften Predigt! Das fehlt in unserer Kirche ja so oft: Manche Prediger müssten hier mal ein Praktikum machen, auf unserem Bauernhof, dann würden sie besser verstehen, aus welchem Umfeld Jesus kam. Hirte sein heißt nämlich vor allem, sich die Hände dreckig zu machen, sich Sorgen zu machen um die Herde, Tag und Nacht. Außerdem: ein Hirte würde niemals ausgrenzen. Nicht die Ausländer und die Flüchtlinge, niemanden. Auch nicht die „schwarzen Schafe“. Ein Hirte versammelt, er verbindet.“

Der Ausdruck des Paters wechselt oft. Mal schimpft der Mönch heftig über unsinnige und überflüssige EU-Bestimmungen, die den Landwirten das Leben schwer machen. Und dann kommen wieder die leisen Töne – da ist er berührt von dem, was ihn umgibt. „Dass diese Kuh da so eine Milch gibt,“ sagt er, „ist für mich auch nach langen Berufsjahren immer noch ein kleines Wunder. Da kann ich immer noch darüber staunen. Das ist für mich alles andere als selbstverständlich. Da muss jemand dahinterstehen!“

Ob ihm bei aller Mühe seine Arbeit noch Spaß macht, wird er zuletzt gefragt. Der Pater lacht: „Spaß ist das verkehrte Wort. Spaß habe ich auf dem Schützenfest, doch das ist kurzfristig. Aber Dankbarkeit und tiefe Freude an diesem Leben, mit allem, was dazugehört – an meinem Beruf, an meinen Tieren, an der Natur: Ja, die habe ich.“

Liebe Schwestern und Brüder, den einen Satz habe ich sehr im Ohr: „Da kann ich immer noch darüber staunen!“ Und ich, fernab vom bäuerlichen Leben, staune mit. Hoffentlich nicht nur am Erntedankfest.