Elisabeth Schmidt (75) +

Predigt am 12.08.2021

Ich lernte sie vor rund 30 Jahren kennen. Ihre damals schon hochbetagte Mutter Agnes wünschte die Hauskommunion, und dann saßen wir immer wieder zusammen, die beiden zierlichen Damen Schmidt und ich, und unterhielten uns über Gott und die Welt. Im Gespräch zu sein – das lag beiden, das lag vor allem Elisabeth. Und vielleicht auch diese Reihenfolge: Gott - und die Welt.

Gott – und seine Bodenstation: die Kirche – das war ein „roter Faden“ und ein großes Thema für Elisabeth. Jemand sagte mir in den letzten Tagen: „Sie lebte für die Frage: Was ist wirklich wichtig?“ Und dazu gehörte ganz sicher nicht das, was sie vielleicht „Tand“ genannt hätte: Mode, große Reisen, superschicke Wohnung, Konsum, viel Geld. Auch nicht die Errungenschaften moderner Technik: eigenes Auto, Computer, Smartphone. Ich kenne niemand, der so oft das Taxi rief wie sie. Diese Dimensionen schienen ein wenig „stehengeblieben“ bei ihr; dem Zeitgeist jedenfalls hing sie nicht an. Sie war ein sehr selbstbestimmter, eigenwilliger Mensch und lebte aus und mit anderen geistigen Quellen. Bücher spielten eine große Rolle – bis in ihre letzten Tage. Man konnte sie oft bei Thalia treffen und mit ihr Neuerscheinungen austauschen. „Das musst du lesen!“, sagten wir dann. Entwicklungen im Glauben, in der Theologie, in der Kirche interessierten sie brennend. Das gehörte zum Wichtigen in ihrem Leben. Sie diskutierte kenntnisreich, mit kritischem Sinn, anregend, unverblümt. Gefühlsausbrüche kamen höchst selten. Sie blieb nüchtern und immer auf dem Teppich. Und sagte gern mit ernstem Gesicht witzige Dinge, mit einem manchmal etwas schrägen Humor. Diese unpathetische Nüchternheit bezog sie auch auf die eigene Person. Sie war da ganz bescheiden, wollte nicht im Mittelpunkt stehen und niemandem zur Last fallen, es sollte kein „Tamtam“ um sie gemacht werden – auch nicht in der Krankheit, auch nicht in der Nähe zum Tod.

Ich denke, dass ihre Verankerung im Glauben zu diesen Verhaltensweisen beigetragen hat. Die Theologie lag sozusagen in der DNA der Familie. Ihre Eltern, beide Apotheker, interessierten sich dafür, unter den Onkeln und Großtanten gab es Nonnen und Pfarrer. Der Bruder Wolfram gehörte als Theologe zum Schülerkreis von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt. Der andere, 2013 verstorbene Bruder Ulrich war Diakon, ein Neffe hat sich als Professor der Kirchengeschichte verschrieben und eine Nichte der Religionspädagogik. Was heute so oft fehlt, war in dieser Familie und in ihrem Umfeld da: ein Resonanzboden für den Glauben.

Bei ihr führte das – besonders nach ihrer Pensionierung 2010 – zu verstärktem kirchlichem Engagement. Mit großer Treue und Zuverlässigkeit versah sie samstagsnachmittags in der Kapelle des Krankenhauses Hellersen den Küsterdienst. Die Viertelstunde vor Messbeginn war immer eine Gelegenheit zum Gespräch. Sie hielt auch Wortgottesdienste für die Senioren im Altenheim Hellersen und in Haus Elisabeth.

In der Pfarrei wirkte sie mit in dem sogenannten „Glaubenskreis“, der Gemeindewallfahrten, Messen und Filmabende vorbereitete und sich immer wieder den Kopf darüber zerbrach, wie der Glaube deutlicher zum Zentralthema der Gemeinde werden könnte. Hier spielte sie mit ihrem Realitätssinn eine wichtige, mitunter die Höhenflüge unterbrechende Rolle.

Kein Glaube ohne Liebe. Viele Jahre lang war sie sehr um die eigene Mutter bemüht, die mit 93 Jahren starb. Als Pensionärin wurde sie gebeten, einem jungen Mann aus Italien, der in Lüdenscheid bleiben wollte, Deutschunterricht zu geben. Vielleicht einmal oder zweimal in der Woche, sie sollte nicht überfordert werden. Daraus entwickelte sich bald ein täglicher Unterricht, eine wirkliche Begleitung: engagiert – und unbezahlt.

Diese Hilfsbereitschaft und Nähe zum Menschen zeichnete sie natürlich auch in ihrem Beruf aus. Sie war mit ganzem Herzen erst Kindergärtnerin, dann bis 1979 Lehrerin in Dortmund-Hörde, und schließlich, über rund 30 Jahre, Rektorin. Erst in Hüinghausen und dann ab 1992 an der Westschule in Lüdenscheid. „Sie war eine sehr gute Schulleiterin,“ sagt eine Lehrerin an der Westschule. „Sie verstand sich mit den Kindern, agierte menschlich, bodenständig, hatte das Machbare im Blick, auch den sozialen Hintergrund der Kinder, die ja häufig aus der Migration kommen. Und sie bewahrte uns vor überflüssigen theoretischen und ideologischen Debatten, für die die Pädagogik ja sehr anfällig ist!“

Die letzten Lebensjahre standen im Schatten ihrer Leukämieerkrankung. Drei Jahre lang: Pendeln zwischen Ambulanz, Krankenhaus und Zuhause. Von ihrer Krankheit machte sie wenig Aufhebens. Vor 14 Tagen kam sie ins Krankenhaus. Sie war geistig klar bis zum Schluss. Begleitet – bis in den Tod – wurde sie von der Krankenhausseelsorgerin Petra Schulz. Sie starb am 5. August 2021.

Nun kann sie schauen, was sie geglaubt hat. Sie ist jetzt in Gottes Hand. Die hat ja die Größe, um genau hineinzupassen.