Wenn es im Leben stürmt

Predigt am 20.06.2021

In diesen schwülheißen Tagen sind die Schwimmbäder und Seen in der Nähe wahre Sehnsuchtsorte! Eintrittskarten sind heiß begehrt! Sich erfrischen, sich abkühlen – wer wollte das nicht?

Aber das Wasser hat noch eine ganz andere Seite: die im heutigen Evangelium. Das Meer und seine Gefahren – gerade für Wasserscheue, für Nichtschwimmer. Das Meer, die See – ein Bild des eigenen Lebens. Oft und lange gibt es bei mir, bei uns die ruhige See: gute Tage, alles liegt glatt da, wie die Oberfläche des Sees, höchstens eine leichte Brise weht, ein lindes Lüftchen, und das Meer glänzt in der Sonne. Fast eine Urlaubsidylle.

Und dann, auf einmal, kann es abgründig werden. Das Glatte und Glänzende ist weg, das Leichte und Leise verschwindet. Das Meer, d.h. das Leben wird höchst ungemütlich. Abgründig! Ich erfahre das Leben plötzlich ganz anders – als Risiko, als lauernde Gefahr, als Krise. Vielleicht droht eine schwere Krankheit. Ich muss hinaus aufs Meer, ich muss mich dem Leben aussetzen, ich kann nicht im Hafen, in sicherer Deckung bleiben. Ich muss etwas wagen. Und jetzt ist sie da: die Angst. Das Leben macht Angst. Ist wie das Wasser für einen Nichtschwimmer. Ich kann das Meer, ich kann das Leben nicht mehr in den Griff bekommen, nicht beherrschen. Es kann mich überschwemmen und umwerfen wie ein kleiner Tsunami.

Die Bibel kennt dieses Gefühl sehr genau. In den Psalmen betet einer, was das Zeug hält: „Das Wasser steht mir bis zum Hals! Herr, reiß mich heraus, rette mich aus dem Meer, aus dem Chaos!“ Die Bedrohung ist da, der Abgrund ist da, aber vielleicht ist noch eine Brücke möglich über diesem Abgrund. Der Beter schreit nach dieser Brücke, ruft und schreit nach Gott: Rette mich aus dem Meer! Und dann merkt man im Psalm so etwas wie ein Aufatmen: Ich werde nicht untergehen. Gott lässt mich nicht zugrunde gehen. Er lässt mich nicht im Stich.

Mir ist ein Gebet in die Hand gefallen, das die Angst des Menschen ernst nimmt und vor Gott hinträgt: Herr, ich habe Angst wegen so vieler Dinge. Ich habe Angst vor schlaflosen Nächten, Angst vor Schmerzen, Angst vor dem Alleinsein. Ich habe Angst, den Mut zu verlieren und nicht mehr hoffen zu können. Ich habe Angst, ganz ausgebrannt zu sein. Ich habe Angst vor dem letzten Kampf, vor dem Schritt ins Unbekannte. Dies alles ist auch dir vertraut, o Herr. Du hast die Hässlichkeit von Menschen erlebt und bist vielfach enttäuscht worden. Du kennst die äußerste Einsamkeit, kennst das Gefühl, von allen verlassen zu sein. Doch du hast die Angst überwunden und den Tod besiegt. In deiner Auferstehung ist nicht nur der Tod, sondern die Angst mitbesiegt. Deshalb bist du der Einzige, der uns helfen kann. Herr, nimm die Angst von mir.

In unserem Evangelium fährt ein kleines Boot übers Wasser. Immerhin: ein Boot. Kein völliges Alleinsein. Eine Familie vielleicht, eine kleine Gruppe, ein Freundes- und Bekanntenkreis. Oder eine Gemeinde: Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, so haben wir früher gesungen. Da ist einiges drin an Hilfe, an Gemeinschaft, an Geborgenheit. Aber was, wenn das ganze Boot in Seenot gerät, wenn alle Angst haben, wenn es für alle gefährlich wird? So wie in den frühen Christenverfolgungen, als die ganze Gemeinde in Rom, in Korinth, in Jerusalem, wo auch immer um ihr Leben bangen musste?

Und so kommt zum abgründigen Meer das Bild vom Sturm dazu. Der Mensch auf dem abgründigen Meer zwischen den Stürmen. Das Boot füllt sich schon mit Wasser. Das Chaos bricht herein: Verlust des Arbeitsplatzes. Die Diagnose: Du hast Krebs. Der Ehepartner zieht aus. Eine Depression zieht ein. Was auch immer! Das Wasser steht einem bald wirklich bis zum Hals. Vielleicht wissen wir uns zu helfen, wir haben da probate Mittel: Wir klammern uns an die Rettungsringe, an Medikamente oder Therapien oder Versicherungspolicen. Wie die Jünger im Boot nehmen wir Eimer, schöpfen und schöpfen, machen und tun, versuchen unser Leben zu „managen“ – bis zum Umfallen. Aber dann: Das Steuer geht nicht mehr, der Kompass spielt verrückt, wir verlieren die Orientierung. Wir sind dann am Punkt, wo wir wie die Jünger rufen: Herr, hilf uns, wir gehen zugrunde!

Und jetzt heißt es: Er ist im Schiff. Er ist da, aber er schläft. Auf einem eigens erwähnten Kissen. Mitten im Sturm kann Er schlafen. Was für ein Vertrauen! Die vertraute Welt geht unter – und Jesus schläft! Wie muss er selber gehalten und geborgen sein in einem Größerem, in dem, den er Abba nennt, lieber Vater.

Eine stille Gegenwart im Boot. Stillschweigend ist er Mitfahrer, ist er Dauergast. Er ist „kein Wesen von einem anderen Stern“, den das alles nichts angeht und den nichts berührt. Er kennt die Stürme, er kennt sogar das Kreuz. Er kennt die Gottverlassenheit und schreit sie am Kreuz heraus. Aber dann lernt er kennen, was wir „Auferstehung“ nennen. Durch die Stürme und den Tod hindurch wird er in eine große Weite geführt, in einen großen Frieden. Für die ersten Christen in Verfolgung und Todesangst ist dieser Christus einer, der die Stürme, d.h. die Mächte des Chaos und des Bösen bezwingt und überwindet. Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich – es trat völlige Stille ein.

Das Leben wird immer abgründig bleiben, und die Stürme werden immer weiter stürmen. Das Wasser kann uns nicht bloß bis zum Hals stehen, sondern bis zur Nasenspitze und darüber hinaus. Der Glaube hält die Wellen der Angst nicht auf.

Aber jemand in tiefer seelischer Krise erzählte mir: Was mir da in meiner Not geholfen hat, war die Kapelle in der Klinik. Ich saß da und habe geheult und war ganz still und stumm oder habe gebetet. Und ich war nicht allein. Ich spürte einen, an den ich mich wenden konnte. Das war wie ein Aufatmen. Und die Hoffnung auf ihn hat mir geholfen zu überleben.