Mehr Geduld!

Predigt am 13.06.2021

Ich wäre gern ein sehr geduldiger Mensch.

Pfarrer haben es nicht immer so mit der Geduld. Wie in vielen anderen Berufen stehen sie, stehen wir oft unter Zeitdruck. Die Jahre im Amt haben uns zu Machern gemacht. Man erwartet möglichst viele Ideen, Tatkraft, Impulse. Immer mehr, ob wir es merken oder nicht, werden wir zu Managern. Und mit uns die, die Gemeinde gestalten wollen. Sitzungen und Konferenzen ohne Ende. Viele Konzepte. Viel Papier. Viel Streit auch über den einzuschlagenden Weg: Was setzt sich durch? Wer setzt sich durch? Wie machen wir es?

Ich wäre auch gern ein sehr gelassener, vertrauensvoller, zuversichtlicher Mensch. Ich wäre gern ein Sämann im Sinne des heutigen Evangeliums, der die Dinge einfach wachsen und reifen lassen kann. „Automatisch“, wie es im Evangelium heißt. Von selbst: Die Erde bringt von selbst ihre Frucht. Der Sämann, der Bauer muss gar nicht an der Saat herumzupfen. Er muss nicht mit der Zange kommen und die Saat nach oben ziehen, damit sie schneller wächst!

Wir sind alle Kinder unserer Zeit. Je nach Beruf wollen und müssen wir die Dinge „in den Griff bekommen“, werden bewertet – und bewerten uns selbst – nach Leistung, Effizienz und Erfolg. Besonders in der Wirtschaft zählt das Wachstum: immer schneller, immer höher hinaus. Wachstumszahlen steil nach oben!

Überhaupt die Zahlen. Auch in den Kirchen sind wir zahlenverliebt. Aber das Rechnen macht hier trübsinnig. Die Zahlen sind so niederschmetternd! Zum Beispiel: eine Priesterweihe pro Jahr in unserem Bistum – wenn‘s gut geht. 90 oder 95% der Kommunionkinder – anschließend unsichtbar in den Kirchen. Man könnte schwermütig werden.

Wenn da nicht das Evangelium wäre! Es rechnet nicht mit Zahlen. Es erzählt vom Reich Gottes wie von einer Saat, die still und leise, ohne großen Aufhebens, von selber wächst. Ja, ein stilles und leises und vielleicht sogar langweiliges Bild – wo es doch heute immerzu geht um mediale Aufmerksamkeit, um dramatische Wirkungen, um Spannendes, Interessantes, Noch-nie-Dagewesenes.

Andererseits: Gerade, weil es so hektisch immer aufs Tempo geht, suchen wir nach Hilfen, „damit unsere Seele nachkommen kann“. Wie viele Medikamente werden angeboten, die unsere Nerven beruhigen, Schlafstörungen beseitigen und den Stress besser aushalten lassen. Ruhige Musik wird uns zur Entspannung empfohlen. Yogakurse und meditative Übungen ziehen viele an. Und auch ein Kinofilm hatte Erfolg – mit ganz stillen Bildern und mit Menschen, die kaum sprechen – Brüdern in einem Kloster des Kartäuserordens. „Die große Stille“ hieß der Film, er verzichtete sogar auf Musik. Auch das gibt es also – wie ein Gegengewicht zur Action, zur Knallerei und Dramatik der meisten Filme. Es braucht solche Ruhepole für unsere Sinne, für unsere Seele.

Im Evangelium wächst die Saat von selber. Der Sämann schläft und steht wieder auf, er muss nicht viel machen. Erst bei der Ernte muss er wieder richtig ran. So wie die Saat braucht das Gute Zeit, muss sich ruhig entwickeln und sieht oft sehr lange ganz unscheinbar aus – so als würde gar nichts kommen. Das Gute braucht Zeit. Langsam reift es heran. Oft sehr langsam! Langsam – das ist nichts Negatives; es kann sehr positiv sein! Langweilig ist das allerdings für viele, die eben sehr von der Hektik, dem rasanten Tempo und der Ungeduld geprägt sind.

Langsames, ruhiges Heranreifen. So also sieht Jesus das Wachsen des Reiches Gottes. Und er empfiehlt die Haltung des Sämanns: Geduld, Gelassenheit. Vertrauen und Zuversicht.

Gewiss: Zuerst muss man etwas investieren. Das Gute kommt nicht einfach von allein. Es braucht uns, unsere Mitarbeit. Aber was daraus wird, das ist nicht einfach herstellbar, machbar. Es braucht das Vertrauen, dass die ausgesäten Kräfte wachsen und sich entfalten. Ich muss es schon machen wie der Sämann (etwa im Blick auf die Erziehung der Kinder): Ich muss „ausstreuen“, etwas investieren: gute, ermutigende Worte, Hilfsbereitschaft, eine Offenheit, sich auf andere einzulassen, Vertrauen in sie. Auch Mut, Verantwortungssinn, auch die Demut, Kritik anzuneh-men und aus Fehlern zu lernen. Ich werde das Ergebnis des Säens nicht sofort sehen. Ich werde vielleicht nichts zu ernten haben. Manche brechen in einer solchen Situation schnell ungeduldig ab. Sie möchten alles, am liebsten sofort. Das ist so, als würde der Sämann sein Feld gleich wieder umpflügen, wenn er nicht schon am nächsten Tag die Saat sprießen und blühen sieht. Wir brauchen die Hoffnung und Zuversicht, dass Gott das Gute reifen lässt. Und dass er immer wieder neu Türen öffnet.

So mancher betende Mensch legt am Abend vor dem Schlafengehen seinen Tag vor Gott hin. Er bittet um Vergebung für das Böse des Tags, und er bittet Gott, dass das Gute, das geschehen ist, wachsen kann. Der Schlaf ist ein schönes Bild: es kommt etwas zur Ruhe, ich kann etwas verdauen und verarbeiten, und manches kann sich gut entwickeln, wenn ich „darüber schlafe“. Ruhe ist nicht vergeudete Zeit, sondern notwendig. Von Adolf Hitler wird gesagt, dass er von furchtbarer Unruhe ständig getrieben war, dass er nirgendwo lange sein konnte und überhaupt keine Geduld hatte - es ging ihm nur ums Machen! Und so entstand das schlimmste Machwerk des letzten Jahrhunderts, das Dritte Reich – das Gegenbild zum Reich Gottes, das nicht als Explosion daherkommt, sondern im Wachsen und Reifen und in der Geduld.

Das Reich Gottes, von dem Jesus spricht, wächst im Kleinen, in der Stille – aber es wird groß, weil Menschen erkennen: Da kann ich leben, da kann ich frei atmen, da kann ich mich entwickeln, da ist es gut für mich. Und selbst das Universum lässt Gott in Jahrmilliarden werden. Er hat Zeit. Er ist der Großmeister der Geduld! Und wir dürfen säen – und manchmal auch ernten. Aber Gott ist es, der wachsen lässt und das Gute vollendet.