Gebet zum Abschied

Predigt am 16.05.2021

Wir haben es ja gerade hinter uns, das Fest Christi Himmelfahrt. Ein Fest, das der Kirche und den Christen inzwischen weithin entglitten ist. Leider! In einem ausliegenden Fürbittbuch in einer Kirche im Ruhrgebiet fand ich einmal eine Eintragung von einem vermutlich jungen Menschen, der das Fest noch ernstnahm – er hatte hineingeschrieben: „Jetzt bist du also oben, lieber Jesus. Ist es schön da oben? Hier unten nicht!“

Jetzt bist du also da oben. Fein hast du dich aus dem Staub gemacht, heißt das. „Ist es schön da oben? Hier unten nicht!“ Punkt. Keine Erklärung. Hier nicht. Immer noch nicht. Und das, obwohl wir schon seit 2000 Jahren darauf warten, dass es schöner wird. Weil doch Gott damals angefangen hat, eine neue Welt zu bauen. Das Reich Gottes. Weil er Jesus geschickt und der uns alles gelehrt hat, was wir brauchen – für eine Welt nach dem Willen Gottes. Ganz sicher keine Bomben und Raketen im Heiligen Land und nirgendwo sonst! Und laut dem Evangelisten Johannes hat Jesus vor seinem Tod ja noch ganz inständig, ganz intensiv gebetet für uns – wir hörten es gerade. Dass es gut wird und Jesu Freude voll und ganz in uns Christen steckt, „hier unten“ schon, bei uns.

„Ich bitte nicht, dass du sie – die Jünger, die Christen – aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ So sagt Jesus. Welt – das ist hier nicht das, was wir unter „Welt“ verstehen. Welt – das ist bei Johannes alles, was gegen Gott steht, was nur sich selber sieht, was beim großen Tanz ums eigene Ich gar nicht von der Tanzfläche verschwinden will. Was nur den eigenen Vorteil im Blick hat und darum Kriege führt. Welt: der Herrschaftsbereich des Bösen. Und weil wir in diesem Bereich sozusagen mitschwimmen, darum ist es „hier unten nicht schön“.

„Vater, bewahre sie in deinem Namen, damit sie – die Jünger, die Christen – eins sind wie wir!“ Da fängt's doch schon an, oder sagen wir besser: Da hört's doch schon auf. Einheit! Wo denn? Und was heißt das? Dass alle nur eine Meinung haben? Nein – aber, dass alle im Gespräch bleiben und der eine dem anderen sein Christsein nicht abspricht. Aber selbst in unserer Kirche geht man sprungbereit aufeinander los, die Stimmung ist gereizt, die Polarisierung wird immer schärfer, zwischen dem Vatikan und Maria 2.0 z.B. liegen Welten. Die eine Seite hält die andere für mittelalterlich und weltfremd, und umgekehrt gilt man als höchstens halbgläubig und Beute des Zeitgeistes. Einheit? Sicher viel guter Wille jetzt auf dem digitalen ökumenischen Kirchentag in Frankfurt, aber dann geht man wieder auseinander und seine eigenen Wege. Einheit? Blättere einer doch mal zurück in dem besagten Fürbittbuch, wo die Leute ihre Bitten hineinschreiben. Allein auf den letzten Seiten so viel Uneinigkeit: Kaputte Ehen. Erbschaftsstreit. Fehlender Respekt. Konflikte zwischen den Generationen. Heftige Meinungsverschiedenheiten. Eltern vermissen ihre erwachsenen Kinder, die kaum noch kommen. Enttäuschung über die Kirche, über Missbrauch und mangelnde Erneuerung. Langsam versteht man den jugendlichen Schreiber: Hier unten ist’s nicht besonders schön.

Und dabei wolltest du, Jesus, dass es gut wird „hier unten“. Du sprichst vom Hass der Welt. Sie merkt, dass wir zu dir „da oben“ gehören und hier unten irgendwie fremd sind und immer fremder werden mit unserem Glauben an dich. Dass wir anders leben, zumindest anders leben sollten. Gewaltlos z.B., mit unbeirrbarem Vertrauen. Friedfertig, einfach, wahrhaftig, und so fort. Das kann die Welt – im Sinne des Evangeliums – nicht vertragen, wenn einer ausschert und ihre Spielregeln nicht einfach mitmacht. Dann gilt man als naiver „Gutmensch“, als Langweiler, als „aus der Zeit gefallen“. Dann fängt die Welt an zu hassen – und gerade Leute, die sich für gerechte Ziele einsetzen, kriegen die Hassbotschaften mit, haben sie täglich im Briefkasten oder bei den Emails.

So anders hast du dir das gedacht, Herr. Eine Art Gottesbeweis sollten wir sein in dieser Welt, eine Art lebender „Liebesbrief Gottes“ auf zwei Beinen, gerichtet an alle Menschen. Die Welt sollte glauben können – durch uns, durch unseren Lebensstil, durch unser Verhalten. „Damit sie eure guten Werke sehen – und dann, dadurch, euren Vater im Himmel preisen.“ So hast du in der Bergpredigt gesagt, damals. So eins sollen wir sein, dass die Leute staunen und den Mund gar nicht mehr zukriegen vor lauter Staunen. So einig wie Gott Vater und Sohn: „Ich und der Vater sind eins!“

Hast du uns überschätzt, Jesus? Zu groß von uns gedacht? Mit unserem Hang zur Habgier und zum Egoismus nicht gerechnet? Nein, du kanntest und kennst das Herz der Menschen. Du traust uns einiges zu! „Heilige sie in der Wahrheit,“ betet Jesus, „Dein Wort ist Wahrheit.“ Du lädst uns ein, erstmal zu hören, nachzusinnen und zu empfangen. Dein Wort aufzunehmen, in uns einzulassen, von ihm „erobert“ zu werden. Von einer Liebe, die sich uns schenkt. Von Gott.

Manchmal begegnet uns so ein Mensch, der von diesem Eins-Sein in Gott erfasst wurde. Wie anders geht Er, geht Sie auf die Welt, auf die Menschen zu! „Etwas von Gott“ bleibt dann hängen, bleibt bei uns, hier und da. Ein Berührtsein. Eine Verwandlung. Wenn das doch unser Schreiber im Fürbittbuch mitbekäme! Er nähme einen Rotstift und korrigierte sich selbst: „Ist es schön da oben? Hier unten auch!“