Kurz und knapp: Liebt einander!

Predigt am 09.05.2021

Eine Legende erzählt von einem jungen Prinzen, der König wurde. Weil er sein Land gut regieren wollte und die Studien liebte, bat er die Gelehrten: „Tragt alles Wissenswerte über das Leben zusammen!“
Die Gelehrten machten sich an die Arbeit und legten nach 20 Jahren ihre Studien in hundert Bänden vor. Der König bat daraufhin um eine kurze Zusammenfassung. Aber auch die dauerte lange Zeit und füllte noch mehr als 500 Seiten. „Nein, das ist viel zu lang für mich,“ meinte der inzwischen schon alte König, „sagt es ganz kurz. In einem Satz.“ „Gut,“ antworteten die Weisen. „Das Wichtigste steht wohl in diesem Satz: Die Menschen leben, suchen das Glück, leiden und sterben – und was wichtig ist und überlebt, ist die Liebe, die sie empfangen und weiterschenken.“

Ja, je älter man wird, desto mehr kommt diese Frage auf: Wofür lebt man eigentlich? Was bleibt, wenn unser Leben einmal hinter uns liegt? Was hat sich wirklich gelohnt?
Antwort: Die Liebe, die wir empfangen und geschenkt haben.
Das sagt uns wohl die eigene Erfahrung. Und das sagt uns ganz sicher Jesus. Zum Beispiel heute: Im Evangelium.

Die Situation: Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern. Er spürt: Der Tod ist nah. In den drei gemeinsamen Jahren hat Jesus geradezu verschwenderisch die Liebe verschenkt, hat Taten getan und Worte gesagt, die tief ins Herz gingen. Und nun liegt vor den Jüngern eine dunkle und ungewisse Zukunft. Was bleibt von den Worten und Taten Jesu? Was bleibt von seiner Botschaft? Was bleibt von ihrem gemeinsamen Weg?
Davon kann man ausgehen: Eine riesige Last bedrückt die Jünger! Wie sollen sie - schwache ängstliche Menschen – Jesu Arbeit weiterführen? Man kann sich gut vorstellen, dass den Jüngern die Knie schlottern.
Überlastung und Überforderung bedrohen die Jünger. Manche unter uns kennen das auch, erleben es am eigenen Leib: Da pflegt eine Frau umsichtig den kranken Mann – und merkt, wie ihr selber die Kräfte schwinden. So viele denkbare Beispiele – man weiß nicht, wie es weitergehen soll.

In diese drohende Resignation tritt nun Jesus. Und er sagt den Jüngern sinngemäß: „Wenn ich bald weggehe, dann lasse ich euch in eurer Bedrängnis nicht allein. Ich gehe zu Gott, dem Vater im Himmel. Ihr könnt mich dann zwar nicht mehr sehen, aber ich bin euch dennoch nahe. Nie bin ich von euch weiter entfernt als ein Gebet!“
Jesus sagt nun seinen Jüngern Worte, die zum Wunderbarsten in der Bibel gehören. „Ihr seid meine Freunde und Freundinnen. Ihr seid nicht Knechte, die mir fremd sind. Ihr seid drin in meiner Liebe – damit meine Freude in euch ist. Und damit eure Freude vollkommen wird.“ Diese Worte sind wirklich Mutmacher! Und sie sind wie ein Testament, ein Vermächtnis. Fast in einem Satz – nicht nur für die Jünger. Für alle Zeiten. Für uns.

Noch kürzer steht in der Lesung: Gott ist Liebe. Drei Worte, die unsere Glaubenswelt, ja die ganze Welt zusammenfassen: Gott-ist-Liebe. Solange wir zur Welt gehören, also immer, gehören wir zu dieser Liebe, stammen aus ihr, verdanken ihr unser Leben und gehen auf sie zu – schließlich durch das Tor des Todes hindurch.
Schade, wenn wir vorwiegend andere Bilder von Gott in uns tragen, von früher her. Da spricht dann nicht die Liebe heraus, sondern die Macht, die Kontrolle. Gott als Diktator. Gott als Polizist. Gott als Buchhalter unserer Sünden. Ein Auge ist, was alles sieht. Gott als Überwachungskamera. Das hat so manchem die „Lust auf Gott“ ausgetrieben – diese Verwechslung von Glauben mit Angst und Moral.

Gott ist Liebe. Nach den harten Bildern der Vergangenheit darf man die Liebe nun nicht als weiches Bild – „soft“ – missverstehen, als sentimentale Soße, die man über alles kippen kann. Der „liebe Gott“, wie wir sagen, der alles mit sich und seiner Welt machen lässt. Nein, so ist die Liebe nicht! Harmlos und irgendwie „nett“ – so nicht! Liebe geht anders. Zum Beispiel so: Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde.

Liebe geht wie Jesus. Gottes Liebe kann man an ihm ablesen. Reine Liebe, ohne Hintergedanken: ob er nun Kranke heilt oder mit seinen Gegnern streitet oder die Händler aus dem Tempel treibt oder uns harte Wahrheiten zumutet oder sich schließlich ans Kreuz schlagen lässt! Seine Liebe ist leidenschaftlich, sie weicht den Konflikten nicht aus. Wer die anderen liebt, oder die Wahrheit, oder die Freiheit, der muss sich dafür einsetzen, muss das Unwahre und Unfreie zurückweisen. Wer sein Kind liebt, soll es nicht verwöhnen, sondern wenn nötig auch Grenzen aufzeigen. Man sollte sich die Liebe durchaus als kämpferisch vorstellen!

Am Schluss unseres Evangeliums sagt Jesus: „Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr Frucht bringt und eure Frucht bleibt.“ Jesus gebraucht hier mit Bedacht das Wort „Frucht“: Früchte – das sind nicht unsere Taten, die wir aus uns selbst heraus tun. Früchte, das sind die Taten, die in uns aus der Liebe Jesu wachsen. So ähnlich, wie sich die Pflanzen von der Sonne bescheinen lassen und dann ihre Früchte bringen. Dann wird es möglich sein, sich den anfangs erwähnten Gelehrten anzuschließen. Sie klappen ihre Hunderte Bände Studien über das Leben zu und sagen ganz einfach und ganz wahr: „Was wichtig ist und überlebt, das ist die Liebe, die wir empfangen und weiterschenken.“