Griechenland, Israel, Bolivien

Predigt am 5. Fastensonntag 21.03.2021

Haben Sie etwas bemerkt im Evangelium? Da kommt Besuch aus dem Ausland. Griechen sind es: Heiden, die eine Sympathie für den jüdischen Glauben haben und so nach Jerusalem gekommen sind. Sie wollen mit Jesus sprechen. Die beiden Apostel Philippus und Andreas – die beiden einzigen mit griechischen Namen – sind die Türöffner. Aber die Tür bleibt im Grunde zu. Jesus hält den Aposteln – und uns – eine lange Rede. Die Griechen scheinen vergessen, bleiben draußen. Von einer Begegnung, einem Gespräch wird kein Wort erzählt.

Merkwürdig, nicht wahr? Nicht die Reaktion, die wir heute hätten: Oh, Ausländer! Interessant! Holt sie rein. Vielleicht lassen sie sich vom Glauben überzeugen! Und dann hätten wir – als Modellversuch – bald eine erste Gemeinde im Ausland, in Griechenland, und damit einen Fuß in der Tür zum religiösen Markt in Europa.
Nein, so denkt Jesus nicht. Nicht wie ein Missions- oder Werbestratege von heute, der will, dass seine Botschaft oder seine Firma expandiert.
Und darum müssen die Griechen warten. Mehr als zwanzig Jahre – bis Paulus zu ihnen kommt, nach Korinth und Athen. Zwanzig Jahre, in denen Entscheidendes geschehen ist. Vor allem Ostern, Jesu Auferstehung. Eine Botschaft, global gedacht, für alle Menschen, überall auf der Welt.

Aber soweit ist es noch nicht im heutigen Evangelium. Die Griechen kommen zu früh. „Sind noch nicht dran“! „Dran“ ist erstmal Jesu eigenes Volk – die Juden, Gottes Volk von alters her. Jesus will das Volk neu sammeln; es soll zum „messianischen Volk“ werden, das anders lebt, das entschieden und deutlich nach dem Willen Gottes fragt. Mit Israel will Jesus den Bund mit Gott, sein Heil durchspielen, ausprobieren, erproben. Und erst dann kann Israel ein „Zeichen“, ein „Leuchtturm“ sein für alle Völker. Die Botschaft kann sich ausbreiten in die ganze Welt. Theologen sagen: Dieser Bund Gottes und Jesu mit den Juden ist nicht exklusiv, sondern exemplarisch. Exklusiv würde heißen: Das Heil und Gottes Liebe gilt nur und ausschließlich für die Juden. Der Rest der Welt bleibt draußen vor, für immer. Exemplarisch meint: Was sich zwischen Gott und den Juden abspielt, gilt beispielhaft für alle Menschen. Er ist der Gott und Vater aller. Sein eigenes jüdisches Volk – das ist Stufe Eins. Die Menschheit – das ist Stufe Zwei.

Noch sind wir hier im Evangelium in Stufe Eins. Vieles bei Jesus ist noch nicht ausgesprochen, vielleicht auch noch nicht klar bedacht. Auch Jesus braucht noch Zeit. Zum Beispiel: um sich klarer zu werden über seine Zukunft. Was ist, wenn er mit seiner Botschaft scheitert, d.h. wenn sein Volk ihn weithin ablehnt? Danach sieht es ja leider aus. Der Widerstand gegen Jesus wächst, vor allem bei den Mächtigen. Und: Was ist mit seinem Tod? Welchen Sinn hat das, wenn man ihn umbringt? Der Evangelist Johannes lässt Jesus nun, während draußen die Griechen warten, genau darüber reflektieren und sprechen: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.

Jesus meint sich selber in diesem Bild. Er ist das Weizenkorn, er ist das Brot des Lebens. Jesus sieht sich ganz im Dienst an den Menschen. Er lebt nicht für sich selbst, sondern für uns Menschen. Er ist der Mensch-für-andere, schrieb einst Dietrich Bonhoeffer. Er gibt sich hin, hält sein Leben nicht krampfhaft fest, sondern lässt es los, geht ans Kreuz. Und bringt so reiche Frucht. Dieses Leben lässt sich nicht einsargen, nicht beerdigen, sondern kommt auf die Erde zurück und bleibt bei den Menschen, steigt in den Himmel auf und bleibt bei Gott.

Wer nur für sich selbst lebt, eigensüchtig, egozentriert, der verliert und verfehlt das Leben, sagt Jesus. Wer es aber loslassen kann – um Gottes willen –, der findet es. Weizenkorn sein, Brot werden, Stärkung für andere – das ist das Lebensgesetz Jesu und seines Reiches. Bei ihm heißt es: Es geht. Anders.

Es geht. Anders: das Motto der Aktion MISEREOR in diesem Jahr. Ein weit entferntes Land rückt in den Blick: Bolivien. Ich war dort einmal, vor 35 Jahren. Das Andenhochland um die Hauptstadt La Paz ist wirklich hoch: wir fuhren mit dem Auto bis auf eine Höhe von 5700 Metern. Da ist die Luft sehr dünn. Anschließend ging es in den tropischen Regenwald. Da ist die Luft sehr „dick“ und klebrig. In Bolivien muss man solche Spannweiten aushalten – und die Einwohner mussten immer ein Elend ertragen, das selbst für südamerikanische Verhältnisse erdrückend ist. Harte Arbeit in Silber- und Zinnbergwerken gehörte dazu, dann – aktuell – die Abholzung des Regenwalds und das Geschäft mit den Coca-Pflanzen, die dem Drogenhandel dienen.

Es geht. Anders – sagt Jesus, sagt das Evangelium und sagt MISEREOR. Konkret: nicht mehr Abholzung der Wälder, sondern z.B Anlage von Waldgärten. Wie das genau geht, darüber informiert MISEREOR in seinen Werbematerialien. Das gehört nicht so sehr in eine Predigt hinein. Diese Predigt jetzt will sagen, dass Israel, Griechenland, Deutschland und Bolivien und 180 Länder mehr durch Jesu Leben und Sterben und Auferstehen zusammengehören, dass es eine Menschheit gibt, und dass das Bild vom Weizenkorn in diese Menschheit hineingelegt ist. Die Kirche ist konstruiert und gedacht nach diesem Bild vom Weizenkorn und vom Brot des Lebens: einer für die anderen, einer mit den anderen. Auch wenn wir Bolivien vielleicht nicht auf dem Globus finden – wir gehören zusammen, können einander stärken, stützen und weiterbringen – nach dem Bilde Jesu. Denn: Es geht. Anders. Auch durch uns.