Kommt und seht!

Predigt am 17.01.2021

Manchmal tut es gut, sich an die Anfänge zu erinnern.
Wer in einer Ehekrise ist und in seiner Ehe einen Durchhänger erlebt, sollte zurückblicken: wie war das denn damals, als wir uns kennen lernten und „in Flammen standen"? Wie war das noch mal, die erste Zeit zusammen mit ihren tiefen Gefühlen, mit ihrer Begeisterung?

Auch die Jünger Jesu scheinen in diesem Evangelium zurückzublicken: Wie war das noch damals, als wir den Herrn zum ersten Mal trafen? Offensichtlich können sie sich genau erinnern, selbst an die Uhrzeit: Es war um „die zehnte Stunde", vier Uhr nachmittags. An Schicksals- und Sternstunden kann man sich immer genau erinnern. Mir scheint, dieser erste Kontakt lief ziemlich ungewöhnlich. Da ist erst mal Johannes der Täufer, und zwei seiner Jünger stehen bei ihm. Seine Jünger wohlgemerkt, nicht Jesu Jünger! Jesus kommt nun allein des Weges, und er geht vorüber. Das ist alles. Er geht vorüber! Wie ein Straßenpassant. Mehr wird nicht gesagt. Kein Wort, kein Gruß. Jesus lockt nicht, er wirbt nicht ab, er huscht vorbei. Aber Johannes weist auf ihn: „Seht, das Lamm Gottes!" Eine Andeutung nur, und nicht gerade eine eingängige – aber das reicht schon, dass die Jünger ihren Lehrer Johannes stehen lassen und hinter dem anderen, hinter Jesus hergehen. Manchmal reicht ein kurzer Hinweis, ein kleiner Fingerzeig eines anderen – und alles ändert sich!

Nun würde man bei Jesus erwarten, dass er die beiden bisher sehr schweigsamen Jünger fragt, die hinter ihm herlaufen: „Was wollt ihr?" So fragt er ja oft die Kranken, die sich zu ihm hindrängen. Sie sollen sich darüber klar werden, was sie wirklich wollen, in ihrem Leben wollen. Nehmen wir die Frage ruhig auch als Frage an uns: Was wollt ihr, hier in dieser Messfeier? Was wollt ihr überhaupt von mir?

Aber Jesus fragt etwas anders: "Was sucht ihr?" Das ist sehr aktuell, sehr zeitnah gefragt. Sehr viele Menschen verstehen sich heute als Suchende. Manche sagen: Ich bin religiös unmusikalisch. Das Organ für den Glauben fehlt mir – noch. Ich habe das Geschenk des Glaubens nicht erhalten – und den „Geschmack“ dafür. Aber ich spüre, dass mir da was fehlt. Wir können nicht bloß von vollen Kühlschränken und hundert Fernsehprogrammen leben. Unseren Kindern schulden wir Werte. Um die bemühe ich mich auch – um Nächstenliebe, um Schutz der Schwächeren, um Ehrlichkeit und Treue. Und immer noch fehlt dann etwas. Es muss doch mehr als all das geben! Es ist die „Sehnsucht nach dem ganz Anderen". Gott fehlt uns. Ich würde gerne an ihn glauben.

Vor kurzem war ein Brautpaar bei mir. Sie: gut katholisch. Er, der Bräutigam, war zwar getauft, hatte aber sonst nicht mehr viel mit der Kirche zu tun. Aber es waren Fragen in ihm, die Suche war in ihm, die Unzufriedenheit mit dem Bisherigen. Und er fragte, was Brautpaare sonst eher selten fragen: „Wie kann ich „reinkommen" in den Glauben?" Die Antwort, die ich gab, war sinngemäß die Antwort dieses Evangeliums, auch wenn ich etwas weiter ausholte und wohl einige hundert Worte gebrauchte. Jesus kam damals mit drei Worten aus: „Kommt und seht!" So beantwortete er die etwas überraschende Frage der Jünger: „Wo wohnst du?"

Kommt und seht. Das ist eine Einladung. Mit den Suchenden von damals philosophiert Jesus nicht lange herum und veranstaltet auch keine Talkshow über Sinnsuche. Er lädt sie ein zu sich. Er sagt auch: „Kommt, folgt mir nach." Und das heißt: Geht einen Weg mit mir, einen Weg ins Neue und Überraschende, und im Gehen, nicht so sehr im Sitzen und Denken und Grübeln, erfahrt ihr etwas von dem, was ihr sucht.

Das Brautpaar von vorhin habe ich eingeladen zu unseren Messfeiern und Festen und in unser Gemeindeleben hinein. „Kommt und seht." Was werden sie sehen? Was bekommen sie zu sehen? Sicher keine Sensationen, kaum Events, keine „heiligen Schauer", die ihnen dann über den Rücken laufen. Eher den ganz normalen Alltag – viel Routine und viel guten Willen und ehrliches Bemühen und ziemlich normale Menschen – und hinter all dem doch immer wieder: Gott. Seine Worte. Seine Zeichen. Seine Wege, wie Menschen heute, recht und schlecht, sie zu gehen versuchen.

Im 4. Jahrhundert wurde ein Kirchenvater und Bischof des Ostens von einem Suchenden gefragt, wie man denn zum Glauben komme. Er gab die wunderbare klassische Antwort: „Komm und leb ein Jahr mit in meinem Haus." Der Kirchenvater ging selbstbewusst davon aus, dass es in seinem Haus etwas zu sehen gibt, das zum Glauben anstiftet.

Glauben lernt man durch Glaubende. Glauben „guckt man ab": von der Oma, von den Eltern, von der Kommuniongruppenmutter, von Leuten in der Gemeinde. Von Glaubenden. Glauben lernt man in der Regel durch Praxis und durch Mitgehen. Beten lernt man durch Beten. Glauben lernt man, so sagt der Kirchenvater, besonders schön durch Freundschaft und Gastfreundschaft. Durch Gastfreundschaft ist der Glaube damals herumgekommen in der antiken Welt – von einer Stadt zur nächsten, von einem Haus zum anderen. Daher ist zu hoffen: Wenn ich andere Menschen einlade – in mein Haus, in mein Leben, in meinen Glauben –, gebe ich Jesu Einladung weiter: Kommt und seht!

Damals, ein wenig später, traf Andreas, einer der beiden Jünger, seinen Bruder Simon mitten auf der Straße und führte ihn zu Jesus hin. Den anderen sehen und einladen und mitnehmen und hinführen zu Jesus: mitten auf der Straße. So fing es mit der Kirche an. So geht es weiter. Und so darf es niemals aufhören.