Wache Propheten – Johannes der Täufer
Predigt am 06.12.2020
Heute überlagert ein Heiliger fast den Adventssonntag: Nikolaus. Ich habe ihn jahrzehntelang im Kindergarten gespielt. Weißer Rauschebart, Mitra, Bischofsstab – mit allem Drum
und Dran. Letztes Jahr ging es ziemlich schief: ich hatte morgens nach dem Aufstehen aus Versehen danebengegriffen und statt meines Blutdruckmittels eine Schlaftablette eingenommen. Statt dann den
Kindern die Legenden vom heiligen Bischof zu erzählen, war ich in der Kita eingenickt und schnarchte leise vor mich hin. Die Erzieherinnen fanden eine Erklärung: „Der Nikolaus ist so
müde, er hat schon so viele andere Kinder besucht, lassen wir ihn ein bisschen schlafen!“
Schlafen passt aber nicht so recht zur Botschaft des Tages. Der Bischof von Myra war ein hellwacher Typ. Er erkannte schnell, wo den Leuten seiner Stadt der Schuh drückte. Und er fand immer
einen Weg, um ihnen aus der Klemme zu helfen. Niemals sagte er: Das geht mich nichts an! Und so füllt er noch heute die manchmal drückenden Schuhe mit seinen Gaben ...
Wachheit ist ein Kennzeichen aller Propheten, so auch Johannes des Täufers. Die Propheten haben Gott in den Ohren und die Welt vor Augen. Aber was sie hören und was sie dann sehen, stimmt
nicht zusammen. Diese Kluft macht Kopfschmerzen, und mehr. Sie hören Gerechtigkeit und sehen Unterdrückung. Sie hören Liebe und sehen Gleichgültigkeit, die oft schlimmer ist als
Hass. Sie hören Vergebung und sehen Vergeltung, Rache. Das lässt sie nachts nicht mehr ruhig schlafen.
Propheten sind gerufen, aufgerufen von dem, was sie hören. Von der Stimme Gottes in ihrem Herzen. Und sie sind verstört, aufgeschreckt von dem, was sie sehen. Von den Bildern des
menschlichen Elends, eingebrannt in ihrer Seele.
Da kann man nur „Umkehr!“ rufen. Anders ist der tiefe Riss kaum auszuhalten zwischen einem liebenden Gott – und einer lieblosen Welt.
Aber diese Umkehr klappt selten. Der „alte Adam“ hockt fest in uns und will sich nicht ändern lassen. Es soll möglichst alles beim Alten bleiben! Wir hängen wie eingesperrt in
den Gewohnheiten, gerade auch in den schlechten. Was krumm ist, will krumm bleiben und sperrt sich, gerade zu werden. Die Berge, von denen Jesaja spricht, lassen sich nicht so leicht abtragen. Der
Weg für den Herrn bleibt mühsam. Eine Prachtstraße für ihn, die Jesaja so gerne sähe, findet sich nicht. Eher kommt der Herr auf Trampelpfaden zu uns, nicht auf
Prachtalleen. Durch Ställe und Krippen, vorbei an den Hecken und Zäunen.
Aber er kommt! Er sagt nicht: Eure mickrigen Versuche der Umkehr reichen mir nicht! Ihr seid durchgefallen! Ihr habt die Prüfung nicht bestanden! Ich will mit euch nichts zu schaffen haben.
Gott, heißt es zusammenfassend im 1. Johannesbrief, ist größer als unser Herz, und er weiß alles.
Wie ein Hirt weidet er seine Herde, auf seinem Arm sammelt er die Lämmer, an seiner Brust trägt er sie, die Mutterschafe führt er behutsam. So noch einmal Jesaja. Das werden die
Israeliten von damals, die meist Bauern waren, genau verstanden haben: eine Zärtlichkeit in der Sprache, Bilder voller Gefühl. Bilder eines Gottes, den Jesus dann als Abba anspricht: Papa,
lieber Vater. Der Weltenschöpfer, der absolute Herr – mit menschlichem Gesicht, mit der Haupteigenschaft Barmherzigkeit. Abba. Trotz allem. Tröster des Volkes. Grund der Freude.
Jerusalem, fürchte dich nicht! Hinzudenken sollte man, dass das Volk aus der Gefangenschaft in der Fremde, in Babylon, heimkehren und das ganz heruntergekommene Jerusalem wieder bewohnen darf.
Die Klagegesänge in Babylon sind vorbei. Jetzt kann wieder in der Heimat das Lob Gottes gesungen werden.
Noch ein anderer Ort wird in den Texten genannt: die Wüste. Da wirkt der Vorläufer Jesu, da wirkt Johannes der Täufer. Ist uns die Wüste fremd? Wir brauchen jetzt nicht an die
Sahara zu denken! Die Wüste ist auch eine Landschaft der Seele. Das alles ist in uns – manchmal sehr stark: das Alleinsein, die Anonymität und die Einsamkeit der Wüste. Die
Trockenheit und die Langeweile. Die fehlenden Ablenkungen, die den Menschen ganz auf sich selbst zurückwerfen. Die dämonischen Kräfte, die dann hervorbrechen, und die den ersten
Mönchen, den Wüstenvätern, schwer zu schaffen machten. Der Hunger und Durst, und das Fasten. Die Stille mit ihren Stärken und Schwächen. Aber auch die Lebenszeichen, die
leise daherkommen. Das Einfache – fast nichts zur Hand. Die Gelegenheit, mit sich selbst – und mit Gott? – ins Reine zu kommen. Die Wüste aus- und durchzuhalten, die Krisen zu
bestehen, nötige Entscheidungen zu treffen. Radikal zu werden, d.h. von der Wurzel und vom Zentrum her zu leben. Sich nicht mehr so treiben zu lassen. Nicht mehr so wichtig finden, was die
Leute sagen – aber ganz wichtig finden, was Gott sagt. Durch die Stimme des Rufers in der Wüste.
Vielleicht ist die Coronazeit auch eine Wüstenzeit. Der Trampelpfad Gottes auf dem Weg zu uns.