Allerheiligen

Predigt am 01.11.2020

Sie haben alles Mögliche gemacht, die Heiligen. Nikolaus von Flüe verließ seine Familie und wurde Einsiedler und Ratgeber seines Landes, der Schweiz. Der antike Syrer Simeon stand jahrelang auf einer Säule und lobte Gott. Mutter Teresa kümmerte sich um Schwerkranke und Sterbende und fühlte sich nachts in ihren Gebeten von Gott verlassen. Maximilian Kolbe gab in Auschwitz sein Leben hin für einen Familienvater; vorher hatte er in Polen u. a. Texte mit antisemitischen Untertönen geschrieben. Johannes Paul II war ein tieffrommer Papst und charismatischer Verkünder des Evangeliums, ignorierte aber die Missbrauchsfälle in seiner Kirche. Bernhard von Clairvaux war ein mittelalterlicher Mönch mit glühender Christusliebe, rief aber zu gewaltsamen Kreuzzügen auf. Carlo Acutis, erst vor ein paar Wochen seliggesprochen, ein italienischer Jugendlicher, liebte die Eucharistie und ebenso die Computer und die aktuelle Technik; er starb 15-jährig an Leukämie. So könnte man fortfahren.

Heilige sind nicht perfekt und vollkommen. Sie haben im Leben nicht alles richtig gemacht. Sie sind Kinder ihrer Zeit. Aber eines ist ihnen gemeinsam: Sie ahnten nicht, dass sie Heilige sind. Sie wären sicher sehr überrascht über die Heiligsprechung! Ihre Schwächen, Mängel und Sünden waren ihnen bewusst. Aber sie bauten auch nicht auf die eigene Stärke, sondern auf Gott! Freunde Gottes werden sie in einem Lied aus dem Gotteslob genannt. Freunde Gottes – mit allem, was zur Freundschaft gehört: dem Freund vorbehaltlos vertrauen. Sich ihm öffnen. Freude an ihm haben. Sich für ihn einsetzen. Für ihn kämpfen – und manchmal auch mit ihm. Mit ihm einen Weg gehen. Den Lebensweg. Freundschaft macht glücklich.

Glücklich nennt Jesus in der Bergpredigt eine Menge Leute. Glücklich, selig, gut dran. Geradezu beneidenswert! „Freut euch und jubelt!“, ruft er aus. Wer sind diese Leute, die Grund haben zu solchem Jubel? Die Gewinner, die Erfolgreichen, die auf der Siegerspur? Die mit der blütenweißen Weste? Die Korrekten, Braven, Unauffälligen?
Nein. Wir wissen, Jesus überrascht mal wieder. Er hat da andere im Blick, die er glücklich und selig nennt. Sein Blick fällt – in seinen Worten wie in seinen Taten – auf die Menschen, die sich schwer tun mit dem Leben. Auf die, die er tagtäglich um sich hat, die sich an ihn herandrängeln. Sie bringen ihre Nöte mit: Krankheiten, Armut, Trauer, Einsamkeit, Konflikte. Die ganze Verlorenheit, damals wie heute. Und der Heiland – heilt. Er sieht die guten und hoffnungsvollen Ansätze, die „Ressourcen“, wie man heute sagt, und stärkt sie. Gerade bei den kleinen Leuten findet er diese Gaben: das Vertrauen, mit dem sie ihm begegnen. Das „Kindliche“, das bleibend zum Menschen gehört. Die „Armut im Geist“, die nicht eingebildet und hochnäsig daherkommt, sondern wirklich auf Gott setzt und baut. Bescheiden hält diese Armut Gott das eigene Leben hin.

Jesus sieht, wie ein Armer dem noch Ärmeren hilft und mit ihm das letzte Hemd teilt. Er sieht absichtslose Herzensreinheit und barmherzige Taten. Sieht Trauer, die nicht unbeweglich und versteinert ist, sondern empfänglich und beweglich für Trost. Er sieht Aushalten und Durchstehen großer Schwierigkeiten, etwa der Unterdrückung und Verfolgung. Sieht auch, wie in einer Welt voller Soldaten und Kriege Menschen auf Gewalt verzichten, ihre Ansprüche nicht über alles stellen und Frieden stiften. Und er spürt die Sehnsucht, „den Hunger und Durst“ nach der Gerechtigkeit, die die Grundlage guten Lebens ist.
Solche Menschen nennt Jesus selig. Er sieht sie, stärkt und heilt. Sie, die Freunde Gottes. Die wahren Heiligen.

Aber ein „Wehe!“ schleudert er denen entgegen, die vom schlimmen Lauf der Welt profitieren, die die Wahrheit verdrehen und verbiegen, die zynisch und mitleidlos in die Welt gucken, nur um sich selber kreisen und Gott keinen Raum lassen in ihrem Leben. Und die zur Freundschaft gar nicht fähig sind.

Unser Papst Franziskus, der ganz durchdrungen ist von der Bergpredigt Jesu, hat vor ein paar Jahren (2016) eigene aktuelle Seligpreisungen formuliert:

Selig, die im Glauben das Böse ertragen, das andere ihnen antun, und von Herzen verzeihen.
Selig, die den Ausgesonderten und an den Rand Gedrängten in die Augen schauen und ihnen Nähe zeigen.
Selig, die Gott in jedem Menschen erkennen und dafür kämpfen, dass auch andere diese Entdeckung machen.
Selig, die das „gemeinsame Haus“ der Erde schützen und pflegen.
Selig, die zum Wohl anderer auf den eigenen Wohlstand verzichten.
Selig, die für die volle Einheit und Gemeinschaft der Christen beten und arbeiten.


Ich wünsche Ihnen sehr, dass Ihr eigenes Leben – und das Ihrer Familie und Ihrer Gemeinde – ein „seliger Raum“ ist und wird, beseelt von Freundschaft mit Gott und den Menschen. Das ist dann wirklich ein Grund zur Freude und zum Jubel.