30 Jahre deutscher Einheit

Gedanken am 03.10.2020

Als der Herr der Gefangenschaft
Zions ein Ende setzte,
War alles wie ein Traum.
Wir lachten und jubelten.
Da hieß es bei den anderen Völkern:
Ihr Gott tut Wunder!
Ja, du tust Wunder,
Gott in unserer Mitte.
Überglücklich waren wir.

Ach Herr, rette uns von neuem,
wieder einmal, so wie du
die ausgetrockneten Bäche
wieder mit Regen füllst.
Die in Tränen säen,
werden in Freude ernten.
Voll Singen kehren sie heim
mit den Garben.

(Psalm 126)

So betete einer vor 2500 Jahren, als sein Volk Israel
aus dem Exil in Babylon (im Irak) befreit wurde
und zurückkehren durfte in die Heimat,
nach Jerusalem.
Die Weltmacht Persien hatte sich eingemischt
zugunsten der Juden.
Jerusalem lag völlig am Boden. Man sah nur Ruinen.
Und die Heimkehrer fingen an, die Stadt
und das Land wiederaufzubauen.
Sie gaben sich Mühe
und versammelten sich um ein Buch in der Mitte,
das ihnen Richtschnur sein sollte: die Thora, die Bibel.

Aber sie schufen nichts Vollkommenes,
das Ideale überforderte sie.
Sie hatten es weiter nötig, zu bitten:
Herr, rette uns von neuem, wieder einmal!
Die ausgetrockneten Bäche hatten es schwer,
blühende Landschaften zu bewässern.
Die Bitte blieb, die Bitte bleibt:
Ach Herr, hilf uns. Rette uns.

Mir scheint, man könnte einen ähnlichen Psalm sprechen
über das, was vor dreißig Jahren geschah
und seitdem im Fluss ist:

Als unser Land zur Einheit zurückfand,
war alles wie ein Traum.
Wir lachten und jubelten.
Und viele riefen: Ein Wunder!
Mauern fallen, und Grenzen schwinden.
Kein Leben mehr wie im Käfig.
Ja, du tust Wunder, Gott in unserer Mitte.
Wunder – durch die Hand der Menschen.
Überglücklich waren wir.

Du siehst, Herr, den weiteren Gang:
wie das Überglück sich abnutzt
im Alltag und in den Fakten der Geschichte.
Immer ist alles zu wenig,
immer nimmt man Maß am Vollkommenen
und suhlt sich im Besserwissen oder im Verdruss.
Lehre uns Augenmaß und Geduld,
zeige uns die richtigen Schritte,
wenn auch wir uns versammeln
um ein Buch in der Mitte,
um das Grundgesetz,
und, ja, auch weiter um dein Wort.
Und hilf uns, den Kreis
nicht zu klein zu ziehen,
nicht zu denken:
Germany first.
Denn alle großen Probleme und Nöte der Welt
brauchen große Kreise
und große Anstrengungen –
Europa und mehr.
Dann wird die Ernte reich sein, und mit Freude
bringen wir die Garben ein:
die Freiheit
die gegenseitige Achtung
den Frieden nach innen und nach außen.
Und die Dankbarkeit!