Der verleugne sich selbst
Predigt am 30.08.2020
In England gibt es einen Künstler namens Banksy, der ist wie ein Phantom. Niemand weiß, wer sich hinter diesem Namen verbirgt. Aber seine Bilder und Graffiti sind allgegenwärtig,
sind z.B. auf Hauswände gesprüht, und zeigen, wie die Welt ist.
In den Coronamonaten tauchte in einem Krankenhaus in Southampton ein Bild von ihm auf. Ein kleiner Junge ist darauf, der lässt die Puppe einer Krankenschwester durch die Luft schweben:
coronamäßig ist sie, mit Mundschutz und Schürze und einem roten Kreuz (dem einzigen Farbfleck im Bild). Wie Superman schwebt sie daher – während andere berühmte
Helden, Spiderman und Batman, in einem Papierkorb stecken.
Dieses Bild von Banksy ist gedacht als ein großes Dankeschön für die Krankenschwestern und andere Berufsgruppen, die normalerweise wenig Applaus und Anerkennung bekommen. Sie haben
– manchmal unter Lebensgefahr, auf jeden Fall unter größtem Einsatz – "die Welt zusammengehalten". Ohne sie wäre das Gesundheitswesen zusammengebrochen. Sie waren und
sind die Helden dieses Jahres – und nicht die Supermänner im Papierkorb, die big-business-Typen, die Hochbezahlten und Mächtigen, auf denen sonst immer aller Glanz der Welt ruht. Es
ist ein Bild, das zu den Jesusworten passt: "Wer sein Leben verliert, ganz einsetzt, wird es gewinnen."
Es gibt Geschichten und Worte Jesu, die hören wir gerne. Das Gleichnis etwa vom verlorenen Sohn gehört dazu. Hier wird uns ja gesagt: Der Vater, Gott, lässt niemanden fallen. Keiner
muss bei den Schweinen bleiben. Wir hören gerne aus der Bergpredigt, dass die Armen, die Barmherzigen, die Friedfertigen seliggepriesen werden. Immer kann es bei solchen Worten ein inneres
Aufatmen geben, sie sind wie eine Befreiung. Oder die Heilungsgeschichten Jesu: Lahme gehen wieder, den Blinden wird das Augenlicht geschenkt. Kranke, Behinderte, Ausgegrenzte können wieder
aufatmen – und wir mit ihnen. Denn Jesus kann auch uns heilen, wo wir blind, taub, stumm sind und nicht richtig hinsehen, hinhören und Worte finden können. Wir hören gerne, dass
wir beschenkt werden.
Doch was ist mit den anderen Worten Jesu – wenn er uns radikal einfordert? Wenn er warnt und mahnt und uns den Spiegel vorhält? Wenn er sagt, dass wir unser Leben und unser Heil auch aus
eigener Schuld verspielen können? Diese Worte würden wir vielleicht am liebsten streichen, die Rede vom Gericht oder der Hölle. Sie machen uns Druck. Und den wollen wir nicht! Davon
hat es für uns Ältere in früheren Zeiten schon genug gegeben.
Aber halbieren wir dann nicht die Wirklichkeit? Hüllen uns in eine religiöse Kuscheldecke? Wo alles wohlig und warm und harmonisch ist, eben "kuschelig"? Große Gefühle bei
Kerzenschein und meditativer Entspannung? Das alles darf auch sein – gerade in stressigen Zeiten. Aber das Leiden und der harte Widerstand der Welt lässt sich nicht verdrängen. Das
Schwere und Negative ist da und wird in unserem Evangelium von Jesus angesprochen. Er kündigt sein Leiden an, seinen Tod. Er ist kein Traumtänzer! Petrus aber will davon nichts hören:
"Das soll Gott verhüten! Das darf nicht mit dir geschehen!" Erstaunlich, wie hart Jesus darauf reagiert: "Tritt hinter mich, du Satan! Geh mir aus den Augen!" Und er fügt hinzu: Man muss
nach dem Willen Gottes fragen – nicht nach dem, was die Menschen gerne hören wollen.
Und so spricht Jesus vom Leiden. Denn er weiß: Er wird auf Widerspruch und Widerstand stoßen. Denn seine Worte werden Fassaden niederreißen, Heuchelei anprangern, vieles in Frage
stellen.
Jesus setzt sich mit seinem Leben für das Reich Gottes ein. Dieses Reich Gottes unterscheidet sich sehr von dem, was wir in der Welt erleben. Und so kann Paulus in der Lesung sagen: Gleicht
euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch ein neues Denken!
Aber Jesus ist vor diesem Widerstand nicht davongelaufen. Er hat sein Leiden nicht gesucht. Aber er hat es auf sich genommen, ist ihm nicht ausgewichen. Er wusste sich getragen von der Liebe Gottes.
Sie hat ihn stark gemacht, hat ihm Mut, Kraft und Tapferkeit gegeben. So kann man Nachteile, Hass, Alleinsein auf sich nehmen, wenn man für eine Sache, für eine Vision eintritt, die einem
ganz am Herzen liegt. Dann kann man sich fragen: Stehe ich zu dem, was ich wirklich denke, oder richte ich mich nach dem, was die Menschen von mir erwarten? Handle ich so, dass mir möglichst
viele Beifall klatschen, oder zeige ich, was ich als richtig erkannt habe?
Weil Jesus so gehandelt hat, darum hat er den Tod auf sich genommen. Und weil er so eindeutig nach dem Willen Gottes lebte, wurde er von seinem Vater bestätigt und sozusagen "gekrönt" in
der Auferstehung.
Wer sich auf den Gekreuzigten und Auferstandenen einlässt, der lernt neu sehen, hören, reden. Er sieht dann deutlich, was nicht in Ordnung ist. Er hört auch, was zwischen den Zeilen
steht. Er bekommt die stummen Schreie vieler Menschen in großer Not mit. Und er ist bereit, seinen Mund aufzutun, um Gott zur Sprache zu bringen und andere zu verteidigen. Auch dann, wenn es
gefährlich wird.
Ja: Picken wir uns aus Jesu Botschaft nicht nur die Rosinen heraus – das, was angenehm und "süß" für uns ist. Drücken wir uns nicht vor den "bitteren Pillen". Sie enthalten
mitunter die größere Heilkraft fürs Leben. Die Krankenschwestern aus dem Banksy-Bild könnten das bestätigen.