Unkraut im Acker
Predigt am 19.07.2020
Jetzt ist die Zeit des Wachsens und Reifens. In den Gärten blühen die Blumen, aber leider schießt auch das Unkraut hoch. Als ich noch im Pfarrhaus wohnte, erinnerte der Garten dort
an einen Urwald. Der erfreuliche Anblick der Blumen war ein wenig getrübt.
Unkraut - eine Plage für Bauern und Gärtner. Jesus kennt das. Er kam ja auch vom Lande. Und so wird das Unkraut zu einem wichtigen Bild in den Gleichnissen. Was steckt dahinter?
Manchmal schien es Jesus so, als falle die Saat seines Wortes überhaupt nicht in die Herzen der Menschen. Er spürte, wie die Gegenmacht immer stärker wurde: eine Feindschaft, die ihm
nach dem Leben trachtete. Während er am helllichten Tage auf öffentlichen Plätzen redete, kamen seine Gegner zusammen in den dunklen Ecken des Tempels, in ihren Gerichtssälen und
Sicherheitsbüros und in langen nächtlichen Beratungen, um gegen ihn Material zu sammeln. Jesus ahnte das. Vielleicht deshalb erzählte er noch einmal das Gleichnis von der Saat des
Wortes Gottes, um seine Gedanken und Gefühle zu ordnen und angesichts der Spannungen zu klären.
Aber jetzt ging es nicht mehr um die Dornen und die Vögel und um den felsigen Grund; jetzt bekommt die Ursache so vieler Schwierigkeiten einen neuen Namen - jetzt spricht er vom Feind. Dem
Feind, der ihn am Anfang seines Wirkens in der Wüste versucht hatte mit den Verlockungen von Reichtum, Ehre und Macht. Diesen Versuchungen hatte Jesus widerstanden. Nicht in ihm wuchs die
Unkrautsaat, dafür aber in den anderen: in Judas z.B., der ihn verraten wird. In Jakobus und Johannes, die nichts anderes zu tun wissen, als nach den besten Plätzen zu haschen. Und Petrus
- selbst er! - verstand kaum etwas und verleugnete Jesus.
Und das war nicht alles: immer, wenn Jesus und die Jünger zusammensaßen, war es stets dieselbe Mischung von guten und schlimmen Erlebnissen, von Blühen und Unkraut. Gerade so wie bei
uns, wenn wir beieinandersitzen und uns unterhalten über Krankheiten, Leute, Skandale, die Politik, die allgemeine Schlechtigkeit. Und die Jünger fragten ihn: Was ist bloß los mit
der Welt? Dieses viele Unkraut überall, das sich schon zum Urwald ausweitet! - Auch in uns! Dieses viele Unkraut auch in der Kirche! Dieser Halb- und Viertelglauben, und die Christen sind
auch nicht besser als der Rest der Welt! Die Skandale, immer wieder von neuem! Was tun? Sollen wir das Unkraut rausreißen? Eine Kirche bilden nur noch aus denen mit ganz weißen Westen?
Das Unkraut rausreißen - das hätten die Jünger wohl gern gemacht, das haben und hätten dann auch manche in der Kirche gern getan: Rausreißen - Rausschmeißen - raus
mit dem und dem und dem.
Aber Jesus ist da sehr behutsam und vorsichtig. Reißt das Unkraut nicht aus - lasst es wachsen bis zur Ernte, sagt er. Weiß man denn immer so genau, was das Unkraut ist (in Israel sehen
sich Getreide und Unkraut oft zum Verwechseln ähnlich)? Man kann das Leben nicht gut auf einen Schwarz-Weiß-Film bannen - dafür ist es zu bunt, zu kompliziert, zu vielfältig.
Jesus war überzeugt, dass das Böse durch das Gute überwunden wird. Er sah, das Gute würde schneller wachsen als das Böse, der Weizen schneller als das Unkraut. Ja, er sah,
dass das Böse manchmal sogar das Gute hervorbringen kann! Das Unheil sah er, aber auch die Gnade. Das verantwortungslose Verhalten, aber auch die Wiedergutmachung. Er sah die Krankheit, aber
auch die fürsorgliche Pflege. Er sah da Kreuz, aber auch die Auferstehung. Und er sagte: das Gute ist das Ziel in der Ernte. Lasst alles wachsen, schont und schützt die "zarten
Pflänzchen", dass sie zum Zuge kommen.
Dieses Zutrauen in die Kraft des Guten machte Jesus so geduldig, so gelassen. Er lässt uns Zeit. Er kann warten. Er wartet manchmal sehr lange auf uns.
Geduld. Wir brauchen viel Geduld, wenn wir merken wollen: das, was Gott unter uns gesät hat, geht langsam, aber sicher auf. Auch in den eigenen Kindern, auch in der jüngeren Generation,
die ihre eigenen Wege geht - nichts, was gesät ist, geht einfachhin verloren!
Wir sind von einer Zeit geprägt, in der alles schnell gehen muss, rasend schnell. Wir wollen die Früchte möglichst gleich, manchmal fast noch vor der Saat - wir wollen am liebsten
gleich schon ernten. Da tun wir uns oft schwer mit der Geduld, mit der Gelassenheit, und dann lassen uns und den anderen kaum Zeit - dann fehlt uns die Geduld mit uns selber und mit den anderen.
Statt zu verurteilen und dies und jenes vorschnell zum Unkraut zu erklären, sollten wir also auf diesen Keim des Guten bauen. So können wir die Ernte getrost einem anderen überlassen
- dem, der alle Abgründe des Menschen kennt. Er ist größer als unser Herz, und er weiß alles.