Fürchtet euch nicht!

Predigt am 21.06.2020

Fürchtet euch nicht. Wie oft klingt es so in der Bibel! Mindestens 600-mal, hat einer nachgerechnet. Allein in diesem Evangelium sagt Jesus das dreimal zu seinen Jüngern. Spürt er, dass sie Angst haben? Dass sie sich am liebsten verkriechen würden?

Furcht liegt in der Luft. Die Jünger fühlen sich wie Schafe unter den Wölfen. So bedroht sind sie von Unverständnis, Ablehnung und Verfolgung. Und für Jesus selber steht vieles auf dem Spiel: Wird er an seinem Volk scheitern?

Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Habt Mut! Dieser rote Faden durch die ganze Bibel, diese Einladung und Ermutigung gilt auch für heute. Allemal für Christen, die in vielen Ländern richtig verfolgt werden. Aber auch für uns, die wir ziemlich sicher und bequem leben, wie die Made im Speck.
Wir kennen auch bei uns eine vielfache "Glaubensfurcht":
- Wenn ich mich als Christ bedeckt halte, weil ich nicht anecken und meine Ruhe haben will.
- Wenn ich immer wieder klein beigebe und mich an die nichtgläubige, unchristliche Stimmung in meinem Umfeld anpasse.
- Wenn ich mich niemals mit dem Glauben auseinandersetze, mich vor Entscheidungen drücke und alles offenlasse.
- Wenn mir der Mut fehlt, gegen den Strom zu schwimmen und einzutreten für Dinge und Werte, die die anderen nicht verstehen und unwichtig finden – gerade da, wo gehetzt und gelästert wird.

Fürchtet euch nicht! Heute würde Jesus vielleicht sagen: "Verkriech dich nicht aus Angst! Verschließ den Glauben nicht in deiner guten Stube! Zeig ihn - nicht mit schönen Worten, sondern mit der Weise, wie du lebst! Zeig Profil!"

Christen haben ihr eigenes Profil, mit Ecken und Kanten. Mancher mag denken: Dieses Profil ist aber im Lauf der Zeiten sehr abgenutzt! Wie bei manchen Autoreifen, wo die Räder wegrutschen und ins Schleudern kommen. Ein gutes Profil dagegen haftet, gibt Halt.

Jesus selbst war überaus deutlich profiliert! Er lebt den Glauben an Gott, an den Vater mit Haut und Haar. Dabei begibt er sich immer wieder in Gefahr und muss sich mit vielen Feinden herumschlagen. Sie sagen, er sei ein Gotteslästerer und halte sich nicht richtig ans jüdische Gesetz. Jedenfalls redet Jesus niemand nach dem Munde. Er hat eine eigene Botschaft, für die er eintritt, und für die er schließlich am Kreuz hängt. Sie kostet ihn das Leben. Für die Gläubigen ist sie dagegen das Tor zum Leben. Bequem ist das alles nicht – aber sehr mutig, klar und deutlich.

Was gibt ihm selbst den Rückhalt?
Auch Jesus ist seine entschiedene Haltung nicht in den Schoß gefallen. Dreißig Jahre braucht er, damit sein Weg in ihm reifen kann. Er kennt die Anfechtungen und Versuchungen und Zweifel und steht sie durch. Gerade so ist er uns ein wirklicher Mitgeher und Weggefährte.

Er verweist uns auf Gott, den Vater. Nicht auf einen Gott, der irgendwo über den Sternen thront. Sondern auf einen Gott, der selbst die Spatzen, geschweige denn uns Menschen im Blick hat. Auf einen Schöpfer, der seine Schöpfung zwar frei, aber nicht im Stich lässt. Einen Gott, der der tragende Grund unseres Lebens ist. Dietrich Bonhoeffer, im Gefängnis unter Hitler, sagt es so: "Wir sind in Gottes Hand. Darum fürchtet euch nicht!" Mitten im Sturm, mitten in tödlicher Gefahr können Glaubende wie Jesus oder Bonhoeffer schlafen, weil sie im "tragenden Grund", in Gott geborgen sind.

Liebe Schwestern und Brüder, der Glaube soll das Tageslicht nicht scheuen. Verkündet es von den Dächern, sagt Jesus. Glaube ist nicht beschränkt auf das stille Kämmerlein, ist keine Geheimniskrämerei. Die meisten sagen heute: Glaube ist doch reine Privatsache! Jesus denkt da ganz anders. Er will, dass wir uns "outen"! (outen = herausgehen!) Sehr schön ist im Treppenhaus des Gemeindezentrums von Maria Königin zu lesen: "Verkünde das Evangelium. Wenn es sein muss, auch mit Worten!" Das heißt: In erster Linie mit deinem Leben, mit deinem Verhalten, mit deiner Freundlichkeit. Ähnlich ist der Rat: "Rede nur von Christus, wenn du gefragt wirst – aber lebe so, dass du gefragt wirst"!

Jesus will, dass der Glaube öffentlich wird – dass er in das gesellschaftliche Leben hineingebracht wird und es verändern kann. Wie das Salz in der Suppe. Dazu gehört aber auch, dass wir uns in unserem Glauben auskennen. Nur der kann den Glauben bekennen und "von den Dächern rufen", der weiß, für was er steht und einsteht. Was ist uns so wichtig, so "heilig", dass wir es uns in dem ganzen Stimmengewirr von heute nicht ausreden lassen?

Die Botschaft Christi sagt: Passt euch nicht einfach den herrschenden Trends an! So Paulus: Prüfet alles. Das Gute behaltet! Unterscheidet!
Was alle so sagen und denken, ist nicht unbedingt die Wahrheit – ist oft farblos, ohne Konturen, watteweich. Ein Wort, das ein Prediger vor zig Jahren auf einer christlichen Friedensdemo sprach, habe ich immer noch im Sinn: Eine Kirche, die sich nach allen Seiten hin offenhalten will, kann nicht ganz dicht sein! "Nach allen Seiten hin" – das geht nicht. Man muss Stellung beziehen, man muss sich entscheiden. Der heilige Märtyrerbischof Oscar Romero sagt sehr treffend: "Eine Kirche, die keine Krise bewirkt, ein Evangelium, das nicht erschüttert, ein Wort Gottes, das niemandem unter die Haut geht - was für ein Evangelium ist das? Ein frommes Gedankenspiel, das niemanden aufregt und in Bewegung bringt."

Oscar Romero ließ sich selber von der Angst nicht lähmen. Er wusste, dass er mit seinem großen Einsatz für die Armen sein Leben riskierte. Aber er wusste sich noch mehr in Gottes Hand. Fürchtet euch nicht vor den Menschen - Romero ließ sich davon nicht beherrschen. Die Gottesfurcht, der Respekt vor Gottes Wort zugunsten der Armen – die vertrieb die Menschenfurcht.

Jesus zu folgen ist kein Zuckerschlecken. Aber es macht innerlich so reich. Es ist der Weg in ein Glücklich-Sein, das über den Moment hinausgeht: Wer das Kreisen um sich selbst loslassen kann, wird das Leben gewinnen!

Steigt auf die Dächer, sagt Jesus. Ja, steigt selbst auf die Kirchtürme! Der Glaube darf nicht verschwinden! Hängt das Evangelium wirklich "an die große Glocke"!