Gott hat sich kurzgefasst

Predigt am 05.01.2020

Im Anfang war das Wort, sagt das Johannes-Evangelium ganz zu Beginn, in seinem ersten Satz. Was fangen wir damit an? Das fragt sich auch der berühmte Doktor Faust in Goethes Schauspiel: Er spielt nun einige andere Übersetzungen durch für das Wort Logos, das da im griechischen Text steht. Im Anfang war vielleicht die Tat? Da kommt dann auch schon Mephisto herein, der Teufel erscheint auf der Bühne. Es ist eine teuflische Sache, wenn die Welt Ergebnis der menschlichen Tat wäre. Eine Versuchung der Neuzeit, mit ihrem technischen und wissenschaftlichen Fortschritt: machen, tun, produzieren, auch manipulieren. Alles scheint machbar.

Wenn am Anfang die Tat stünde, dann wissen wir am Ende nicht mehr, wo wir aufhören müssen. Das zieht sich heute durch viele aktuelle Diskussionen: Was dürfen wir machen, und was dürfen wir nicht? Wo beginnt menschliches Leben, und wo hört es auf? Was tun mit Pflegebedürftigen, die jahrelang dahinvegetieren? Da kann die Versuchung aufkommen: "Da müssen wir doch etwas tun! Das ist doch kein Leben!" Und wir merken: Der Mensch wird schnell zum Täter. Und Opfer bleiben zurück. Es braucht etwas, das der Tat voraufgeht, ihr zuvorkommt, ihr eine Richtung gibt. Und das, sagt Johannes, ist der Logos, das göttliche Wort. "Im Anfang war das Wort." Im Anfang war es schon da, und was "am Anfang" ist, ist wesentlich und gültig und gibt dann die Richtung an.

Dieses göttliche Wort wird ausgesprochen in der Weihnachtsbotschaft. Gott hat sein Wort gesprochen in dem Kind Jesus. Das haben wir uns nicht selber ausgedacht und dann als Fest eingeführt, so wie Neujahr, den 1. Mai oder den 3. Oktober. Weihnachten ist ein nicht von den Menschen, sondern von Gott her kommendes Fest. Das göttliche Wort kommt nicht aus uns, sondern zu uns. Wir können es nicht machen, aber wir dürfen es empfangen, annehmen. Papst Benedikt hat einmal gesagt: "An Weihnachten hat Gott sein Wort "abgekürzt", er hat sich kurzgefasst." Keine langen Reden und Predigten, keine ausführlichen Schriftrollen, keine Art "Koran" mit lauter Gesetzen und Geboten! Nein, nur ein Kind in der Krippe. Gott hat sich kurzgefasst, sein Wort ist klein geworden. Papst Benedikt wörtlich: "Das ewige Wort hat sich klein gemacht - so klein, dass es in eine Krippe passt. Es hat sich zum Kind gemacht, damit uns das Wort fassbar werden kann." Und das Wort ist Kind geworden.

Das Kind da in der Krippe kann noch nicht sprechen, es ist "unmündig", aber es kann uns so viel sagen! Das Kind selber, noch bevor es seinen Mund aufmachen kann, ist Frohe Botschaft, ist Evangelium. Gottes Wort ist einfach, klein, kurz und knapp, kurz und bündig, so dass es in eine Krippe passt. Das Wort ist Kind, Mensch geworden. In dieser einfachen Wahrheit ist unser ganzer Glaube zusammengefasst.

Noch einmal Papst Benedikt: "Das Wort, das Gott uns in den Büchern der Heiligen Schrift mitteilt, war lang geworden im Lauf der Zeit. Lang, kompliziert, unübersichtlich. Jesus hat das Wort kurz gemacht. Er hat uns die tiefste Einfachheit und Einheit des Wortes wieder gezeigt." Gott ist nicht mehr weit entfernt. Er ist Mensch geworden, hat sich zu unserem Nächsten gemacht und ruft uns zu: Macht's wie ich - Werdet Mensch!

Ja, das Wort ist Fleisch geworden, Mensch geworden, Kind geworden - und hat unter uns gewohnt. Und wir bekennen das, so gut wir es können, mit unserer Stimme. Man muss zwischen Wort und Stimme unterscheiden. Es gibt so viele Stimmen, auch in der Kirche. Die einen reden so, die anderen so. Aber es gibt nur ein Wort: das kurze Wort, das Gott in eine Krippe gelegt hat. Jesus, das göttliche Wort an uns. Der große Heilige Augustinus weiß, wie schwach und hilflos und unangemessen unsere Stimmen oft angesichts des göttlichen Wortes sind. Er schreibt: "Nimmst du das Wort weg, was bleibt von der Stimme? Dann ist die Stimme nur leeres Lärmen. Die Stimme ohne das Wort pocht zwar ans Ohr, doch sie erreicht und erbaut nicht das Herz. Sie wird sogleich verhallen."

Stimmen sind laut und leise, Stimmen sind mächtig und verstummen wieder. Was bleibt, ist das Wort. Gott hat es kurz gemacht. Er hat uns das Wort in die Wiege gelegt - in die Wiege des Herzens, damit wir es wiegen und wägen, es in uns bewegen und tragen. So ist Weihnachten das Fest des Wortes Gottes. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt - in Menschen mit Herzen aus Fleisch.