Zwei junge Alte: Simeon und Hanna

Sylvester 31.12.2017

Vor Weihnachten schickte man mir eine aufmunternde Spruchkarte: Ich bin nicht alt, ich bin nur schon ein bisschen länger jung als andere! Vielleicht ein Grund, etwas nachzudenken über die junggebliebenen Altgewordenen - wie heute im Evangelium Simeon und Hanna.

Hier in unserer Pfarrei sind die ältesten 103 Jahre alt. Die Senioren leben zuhause oder in Altenheimen, ihre Lage ist sehr unterschiedlich. 70-jährigen geht es ziemlich anders als 90-jährigen. Ich kenne viele, die krank, geschwächt oder verwirrt sind. Sie erfahren ihr Alter vor allem als Last, als Einschränkung. Sie können halt vieles nicht mehr. Ihnen und ihrem Schutz galt und gilt vor allem das 4. Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren! Nicht so sehr der Gehorsam der Kinder war gemeint, so wurde es uns ja immer ausgelegt: den Eltern gehorchen! Gemeint war eher: die Eltern im Alter schützen und ihnen beistehen. Es gab ja keine Altersversicherung - dafür sorgte die Familie. Die hohe Kinderzahl etwa in Afrika hängt mit der Erwartung zusammen, den vielen Kindern müsse es doch wohl gelingen, für die Alten dazu sein.

Heutzutage stehen bei uns die "jungen Alten" mehr im Blick. Vielen geht es materiell gut, sie sind eine wichtige Gruppe von Kunden, reisen gern, gehen auf Kreuzfahrt oder ins Fitnessstudio und lernen Neues, z.B. Umgang mit dem Computer. Eine 87-jährige schickt mir regelmäßig Emails und twittert mit ihren Enkeln in Australien und den USA - das hält sie jung. Lernen und für Neues offen sein: das hält jung! Ich zitiere gerne die Dichterin Marie Luise Kaschnitz, die vor 40 Jahren schrieb: "Für mich ist Altwerden nichts Schreckliches. Es ist für mich kein Gefängnis, sondern wie das Heraustreten auf einen Balkon, von wo aus man einen weiten und genauen Ausblick hat." Ein schönes Bild: das Altwerden als Stehen auf einem Balkon, auf einer Terrasse mit weitem klaren Blick. Die Dichterin hat sicher an die Lebenserfahrung und die Lebensweisheit gedacht, die sich in vielen Alten angesammelt hat. Ähnlich sagt ein Sprichwort aus Afrika: Wenn ein alter Mensch stirbt, dann geht mit ihm eine ganze Bibliothek verloren - nicht unbedingt eine Riesenmenge an Detailwissen (da kennen sich die Jüngeren meist besser aus), aber das Wissen darum, was im Leben eigentlich wichtig ist, worauf es ankommt, und was man getrost vergessen darf.

Aber die Alten hüten nicht nur die Schätze der Vergangenheit, der Tradition und Erinnerung. Sie stehen oft auch für die Zukunft, für die Kraft der Hoffnung. Der Prophet Joel kündigt im Alten Testament an: "Die Alten werden Visionen und Träume haben" - Phantasie und zündende Ideen sind ihnen nicht fremd! Ich denke an Papst Johannes XXIII, den Papst meiner Kindheit, der das Konzil einberief - er war da schon fast 80 Jahre alt. Er tat das im tiefen Vertrauen auf den Geist Gottes, der in der Welt wirkt. Man muss nur (laut Papst Johannes) die "Zeichen der Zeit" lesen können. Ähnlich steht es mit Papst Franziskus, er war bei seiner Wahl auch kein Jüngling mehr, sondern 76 Jahre bereit, in Argentinien in Rente zu gehen. Was für ein Feuer auch bei ihm an Mut und Hoffnung, an klarem Balkonblick und energischem Zupacken! Auch bei ihm dieses große Zutrauen in das Leben, weil Gott es mit uns lebt!

Aus ähnlichem Holz geschnitzt nun unsere beiden Alten im Evangelium: Simeon und Hanna. Zwei sehr alte Leute, die sich im Tempel einfinden und gegen alle Hoffnung hoffen. Sie halten die große Erwartung des Volkes hoch und hoffen auf den Messias. Der greise Simeon litt darunter, dass das Gottesvolk Israel keine Kraft mehr in sich hatte und Dunkelheit förmlich über dem Volk lag. Israel ist wie ein "toter Baumstumpf", Gott zeigt sich nicht mehr, die Propheten sind verstummt. Aber Simeon wartet - er wartet mit langem geduldigem Atem und hofft, dass aus dem toten Baumstumpf eine neue Blüte wächst. Einmal wird das große Licht aufgehen, einmal wird der Messias kommen. Mit "Geistesgegenwart" erkennt Simeon nun in dem Kind, das da in den Tempel gebracht wird, den Messias, den Christus. "Der Geist führte ihn", heißt es im Text, da kommt man nicht selber drauf. Simeon hat "sehen" dürfen; er kann nun im Frieden gehen. "Denn meine Augen haben das Heil gesehen" - und dann folgt etwas wirklich Prophetisches: Heil für alle Völker, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und Herrlichkeit für dein Volk Israel! Dieser Ausruf ist in die Komplet, in das Abendgebet der Kirche eingegangen, in das letzte Gebet vor dem Schlaf; jeden Abend wird es überall in der Welt gebetet. Ein Licht für alle, für alle Völker! Was für eine Hoffnung liegt darin: das Licht nicht nur für mich, für unsereins, für meine Familie oder Gruppe, nein, für alle! Diese Hoffnung, Geduld, Klarsicht und Geistesgegenwart ist allen zu wünschen. Mögen die Alten, die Großeltern nicht abgeschrieben sein und am Rande stehen, sondern ihre Lebensweisheit, ihre Erfahrung, auch ihren Glauben noch ins Spiel bringen und den Jüngeren davon erzählen können. Es täte den Familien gut.