Augenöffner Jesus

Predigt am 15.04.2018

Jesus öffnete seinen Jüngern die Augen, heißt es im Evangelium. Und zwar für das Verständnis der Schrift. Ich habe da erst ein bisschen gestutzt und gedacht: Müsste er einem - für das Verständnis der Schrift - dann nicht eher die Ohren öffnen?

Nein, es sind die Augen!
Mit unseren Augen scheint das nicht so einfach zu sein. Blindheit und Kurzsichtigkeit bedrohen uns, selbst wenn wir nie zum Augenarzt gehen und keine Brille tragen müssen. Ihre Augen waren gehalten, zugehalten, so dass sie ihn nicht erkannten, wird von den Emmausjüngern erzählt.

Heute halten viele sich selber die Augen zu. Der Hans-guck-in-die Luft des uralten Kinderbuchs guckte nach oben - in die Luft, in den Himmel - und sah nicht, wo er hintrat. Er stürzte prompt in ein tiefes Loch. Der Hans-guck-in-die Luft von heute guckt nicht mehr in den Himmel, sondern auf sein Smartphone - und weiß auch nicht mehr, wo er hintritt. Auch ihm droht das tiefe Loch und ein verstauchter Knöchel. Aber noch mehr droht ihm, dass er nicht mehr richtig mitkriegt, was um ihn herum vorgeht. Er hat ja nur noch einen Blick für sein kleines digitales Maschinchen. Die Menschen auf der Straße schaut er kaum noch an.

Als ich im Urlaub in Brasilien war, erschienen im Frühstücksraum alle Paare Smartphone-bewaffnet. Und da saßen sie an ihren Tischen, Mann und Frau, durchaus auch in meinem Alter. Es sind nicht nur die jungen Leute! Und sie sprachen nicht miteinander. Jeder hatte in der einen Hand die Kaffeetasse und in der anderen sein Smartphone. Beim Frühstück! Es war entsprechend still. Eigentlich war es eine kommunikative Katastrophe - aber nur ich empfand das wohl so. Die Anderen scheinen sich daran gewöhnt zu haben. Für mich war es richtig gespenstisch! Jeder war nur mit selbst beschäftigt! Den anderen anzuschauen, klar und deutlich hinzuschauen auf das, was uns umgibt, bleibt das immer mehr auf der Strecke?

So lese ich das Wort vom Augenöffner Jesus und empfinde es als sehr aktuell. Bevor es um das Verständnis der Schrift geht und um die Ohren, die das Wort Gottes hören, öffnet er die Augen! Wir sollen und können dann die Wirklichkeit sehen und aufmerksam wahrnehmen: damit muss es beginnen. Ein Blick für die müden oder traurigen Augen eines Mitmenschen in der Nähe. Ein Blick für den Frühling und den Neuaufbruch in der Natur. Ein Blick für Leute, die sonst übersehen werden. Der Blick für das Wirkliche, für das Leben, für die Menschen - und dann das Verständnis der Schrift, des Evangeliums. Wie könnten wir das Evangelium verstehen, wenn wir es nicht auf das konkrete Leben beziehen?

Jesus öffnet. Zum Öffnen braucht man meistens einen Schlüssel. Mein "Schlüsselerlebnis" mit diesem Thema war ein Brautgespräch vor vielen Jahren. Das Brautpaar "hatte es" mit Autos. Das sah man sofort in der Wohnung. Und irgendwann sagte die Braut: "Wir hätten da eine vielleicht etwas ausgefallene Bitte. Könnten wir statt den Ringen unsere Autoschlüssel tauschen?" Ich muss wohl sehr verdutzt geguckt haben, jedenfalls erklärte der Bräutigam dann: "Ja, das wäre schön! Wir sind beide in einem Oldtimerclub, das ist uns sehr wichtig. Jeder von uns hat seinen eigenen Oldtimer. Aber meine Braut durfte bislang nicht auf meinem Wagen fahren, und umgekehrt genauso. Aber jetzt, wo wir heiraten, heißt das für uns auch: Ich lasse den anderen ans Steuer, alles ist uns gemeinsam - darum der Schlüsseltausch!" Mir schien, das war für dieses Paar ein stimmiges Symbol. Wir haben das dann tatsächlich so gemacht und das Ganze den überraschten Gästen deutlich erklärt und dieser Trauung eine Art Überschrift gegeben: Der Schlüssel zum anderen. Der Schlüssel als Symbol für etwas so Wichtiges wie die Ehe. Der Schlüssel als Symbol für den Glauben. Er hat immer etwas Aufschließendes, Eröffnendes.

Seit dieser Trauung ist mir auch Jesus Christus als der Schlüssel viel deutlicher geworden. In der christlichen Kunst hält Jesus oft einen Schlüssel in der Hand und gibt ihn dann an Petrus: Ich gebe dir den Schlüssel zum Himmelreich. Aber das ist zu schwach: Jesus hat nicht nur Schlüssel - er selber ist der Schlüssel! Der Schlüssel, der Türöffner zu Gott, zu seinem göttlichen ewigen Leben. "Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt", heißt es in einem Kirchenlied. Jesus öffnet. Er ist wirklich der Augen- und Ohrenöffner, Herzensöffner, Türöffner. Der Auferstandene kommt selbst durch verschlossene Türen; sie können ihn nicht aufhalten. So sollten wir uns Jesus wirklich vorstellen: Keiner, der zusperrt und ausschließt. Sondern einer, der zutiefst selber der Schlüssel ist - der Zugang zu Gott. Auch wenn Gott uns verborgen bleibt, Geheimnis bleibt, und wir ihn viel deutlicher spüren möchten. Halten wir uns dann an den Schlüssel, an Jesus, mit dem der unergründliche verborgene Gott ein Gesicht bekommt. Der Glaube ist seitdem keine "geheime Verschlusssache", mit der Devise: "Zutritt verboten!"

Wenn wir uns darauf einlassen, lässt Jesus uns verwandelt zurück. Wenn wir ihn "ans Steuer lassen", wie es in der Hochzeitsgeschichte hieß. Ans Steuer unseres Lebens.