Aufgerissener Himmel

Predigt am 03.12.2017

Geht es Ihnen auch so? Wenn ich Advents- oder Weihnachtslieder singen kann, dann spüre ich am deutlichsten: Jetzt ist Advent. Jetzt ist Weihnachten. Die Lieder "transportieren" in ihren Texten und in ihren Melodien den Advent, bringen ihn herüber.

Zum Beispiel dieses:

O Heiland; reiß den Himmel auf, herab,
herab vom Himmel lauf.
Reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal!

O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern.
O Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.


Dieses Lied stammt von dem Jesuitenpater Friedrich von Spee. Er hat es vor 400 Jahren geschrieben, im Dreißigjährigen Krieg. Das war eine schlimme, höchst grausame Zeit. Die Hälfte der deutschen Bevölkerung stirbt, Hungersnöte und Seuchen wüten, Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung. Da ist tatsächlich der Horizont verfinstert. Da wirkt der Himmel, als hinge ein Schloss und ein Riegel davor - verschlossen, verriegelt, versperrt. O Heiland; reiß die Himmel auf, das ist eigentlich kein Lied, das ist als ein Schrei zu hören! Ein Schrei der Menschheit, die nicht weiter weiß. Sie möchte in Gott den Trost der ganzen Welt finden, aber läuft vor verschlossene Türen. Friedrich von Spee schreit mit: "Komm! Zeig dich!"

Spee ist bekannt geworden als ein Anwalt der Frauen, die als Sündenböcke für das Elend dienen müssen. Man nannte sie Hexen. Sie wurden verfolgt, gefoltert und verbrannt. Der tapfere Pater dichtet und singt nicht nur; er träumt sich nicht aus der Welt heraus. Er sieht die Not der bedrängten und verfolgten Menschen mit ganz wachen, offenen Augen. Und er hilft, wie er nur kann. Dadurch bringt er sich selber in Gefahr; der "Fürsprecher für die Hexen", so sagen damals viele Leute, muss wohl selber mit dem Teufel im Bunde sein! Friedrich von Spee wird vor Gericht gezerrt, aber er hält stand. Er verstummt nicht. Er findet die richtigen Worte, so z.B. unser Adventslied. Und im Schreien und Protestieren und Singen und Fragen ("Wo bleibst du?") findet er sich und dringt durch zu einer neuen Hoffnung. Einer Adventshoffnung.

Könnte das Advent sein: wirklich christlicher Advent heute, 2017, und nicht bloß alljährlicher Kalenderadvent? Mit Friedrich von Spee zu rufen, zu singen:
Komm! Zeig dich! Das ist ja der alte Erwartungsruf der ersten Christen und das allerletzte Wort in der Bibel: Maranatha! Komm Herr Jesus. Komm bald! Lass nicht so lange auf dich warten.
Ist unser Advent noch wirkliche Erwartung? Oder nur noch lieb gewordenes Brauchtum mit Glühwein und Bratäpfeln? Erwartung, nicht nur die Erwartung eines Festes - Weihnachten -, das so sicher und automatisch kommt wie das Amen in der Kirche? Nein, größer muss die Erwartung sein! Erwarten wir, dass Gott kommt? "Dein Reich komme," beten wir ja immer wieder, in jedem Vaterunser. Was sagen wir da eigentlich? Meinen wir es ernst, so ernst wie der Pater von Spee, der in seinem leidenschaftlichen Einsatz für die vermeintlichen Hexen und andere Verfolgte etwas vom kommenden Gottesreich aufleuchten lässt? Unter dem verschlossenen Himmel leuchten dennoch Lichter der Hoffnung. Sie gehen aus von Menschen, die menschenfreundlich und zugleich gottesfreundlich sind.

Ich war gerade ein paar Tage in der Abtei Dinklage im Oldenburger Land und habe viele Schwestern förmlich "leuchten" sehen - so menschen- und gottesfreundlich wirkten sie. Überall in Städten und Gemeinden gibt es noch viele Hoffnungslichter, viel in Richtung Reich Gottes. Und darum viel vom Advent. Advent, das heißt: Schraub die Erwartungen nicht zu klein! Nicht nur ein friedliches, harmonisches Fest am Ende des Advents! Das ist schon etwas, aber die Erwartung ist viel größer: Gott selber wird erwartet. Der Himmel öffnet sich - in Jesus Christus. Mit Schloss und Riegel ist es dann vorbei! Dafür braucht man offene Augen und ein großes Herz. Dafür braucht man Typen wie diesen Friedrich von Spee, die bei den Opfern und Unterlegenen dieser Welt sind (wie jetzt der Papst bei den Rohingya: "Die An-wesenheit Gottes trägt den Namen Rohingya.") und die den Mund nicht halten. Die schreien und beten und seufzen: Ach, komm, öffne den verfinsterten Himmel! Und sie sprechen vom Heiland. Das ist einer, der das Kaputte und die Kaputten heil macht, ganz macht, aus der Dunkelheit herausholt und ins Licht stellt.

Was können wir heraushören aus dem Lied und dem Liedermacher? Eine ungeheure Sehnsucht. Eine Sehnsucht, die sich noch nicht hat unterkriegen lassen von der Resignation, von der Erwartungslosigkeit. "Unruhig ist unser Herz - und voller Sehnsucht," sagt der große Augustinus. "Wie unreine Menschen sind wir alle geworden; unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid", sagt Jesaja in der Lesung, und er fährt fort: "Wie Laub sind wir alle verwelkt. Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir. Du hast dein Angesicht vor uns verborgen!" Sätze, die so klingen, als wären sie von heute! Kaum einer rafft sich auf zu dir hin. Du wirst vergessen, die Sehnsucht nach dir bleibt auf der Strecke!

Wünschen und erbitten wir uns ein Herz, das unruhig bleibt angesichts des "schmutzigen Kleids" und bereit ist, sich "aufzuraffen" - hin zu Gott. Ein Herz, "das hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit" für alle. Gerade für die, die arm dran sind, egal, wo. In diesem Sinne: Gesegneten Advent!