Vorbei mit Hochwürden

Predigt am 05.11.2017

"Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen, denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder."

Von ein paar Leuten bekomme ich noch Post, gerichtet an den "Hochwürdigen Herrn Pastor". Hochwürdig, das war einmal. Heute kommt einem das Wort eher merkwürdig vor. Eigentlich war es nie passend, auch in den prächtigen Zeiten der Kirche nicht. Niemals zu Jesus passend - ich denke, Jesus würde über die Hochwürdigen und Hochwürdigsten kräftig den Kopf schütteln. Im Evangelium des Tages hat er das jedenfalls getan.

Als Jorge Bergoglio, unser jetziger Papst, noch Erzbischof in Buenos Aires, Argentinien war, da ließ er sich nur ungern als Eminenz oder Herr Kardinal oder Hochwürdigster Herr anreden. Die meisten sagten Padre zu ihm. So redet man auch die Dorfpfarrer an. Von ihm selber hörte man öfter: Ich bin euer Bruder! Als Papst unterschreibt er nur mit einem Wort: Franciscus.

Padre, Bruder, oder - nicht zu vergessen - Schwester: Das sind Worte aus dem Familienleben. Passt sie auch ins Leben der Kirche, diese Sprache der Geschwister? Oder ist sie da nur leicht kitschige Rhetorik, die die wahren Verhältnisse schönredet?

Die wahren Verhältnisse: Einige haben das Sagen, so gut wie immer nur Männer. Die Autorität und das Amt kommen sehr hierarchisch daher, so ähnlich wie beim Militär: ganz oben der Papst als "Oberbefehlshaber", dann die Kardinäle und die Bischöfe, wie Generäle, dann die Priester, wie Offiziere. Am Schluss, unten, das Fußvolk. Alle in den Kirchbänken. Alle, die immer nur hören und kaum etwas sagen.

Der Größte von euch soll euer Diener sein, sagt Jesus. Sind wir doch auch, rufen die Größten. Wir begreifen unser Amt als Dienst! Herrschaft heißt dienen! Aber in unseren Dienst hat uns keiner reinzureden!

So kommen wir nicht mehr weiter. Die Welt hat sich geändert. Überall wird Beteiligung und Mitsprache gefordert in den Dingen, die alle angehen. Nichts über unsere Köpfe hinweg! Zu Recht. Auch in der Kirche wird der Raum dafür immer breiter. Es gibt Sitzungen, Konferenzen, Synoden. In Lüdenscheid gibt es "Denkfabriken" - zum Mitdenken, zu Anregungen, wie es weitergehen kann mit der Pfarrei. Und der Bischof spitzt die Ohren und hält erstmal den Mund und sagt nur: Macht mir einen Vorschlag. Denkt vor Ort nach, entwickelt einen Plan. Dann wollen wir darüber reden - und wie es aussieht, werde ich ihm ganz oder weithin zustimmen. Denn der Heilige Geist wirkt nicht nur in Rom oder in Essen, sondern auch "vor Ort", in den Gläubigen, z.B. in Lüdenscheid.

Ja, der Heilige Geist. Und der Vater im Himmel. Er macht es, dass wir eine Kirche der Geschwister sind. "Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen," heißt es bei Jesus. "Denn nur einer ist euer Vater. Der im Himmel." Der Aufblick zum gemeinsamen himmlischen Vater macht uns hier in der Kirche zu "Brüdern und Schwestern". Ein Vater, und unzählige Geschwister: alles seine Kinder. Eine Riesenfamilie! Aber vielleicht kennen wir uns hier in den Bänken gar nicht wirklich, kennen nicht die Namen der anderen, wissen nichts oder nur wenig von ihren Lebensgeschichten. Wir sind in der Regel nicht miteinander befreundet. Wir können uns die anderen nicht aussuchen, so wie im Freundeskreis. Sie sind uns vorgegeben - wie Brüder und Schwestern zuhause, die wir uns ja auch nicht ausgesucht haben, und deren Nase uns auch nicht immer und unbedingt passt. Sie sind uns vorgegeben - und aufgegeben. Ja, es ist eine gemeinsame Aufgabe, dass aus diesem Aufblick zum Vater im Himmel etwas Gutes, Heilsames entsteht - für uns, für die anderen, für unsere Stadt. Diese Aufgabe kann man auch Gemeinde nennen.

Erlebe ich geschwisterliche Gemeinde? Ja, immer wieder. Oft unterwegs. Oft im gemeinsamen Tun. Etwa, wenn mehrere von uns beim City-Pastoral-Stand samstagsmorgens auf dem Rathausplatz in Kontakt und im Gespräch sind mit Leuten aus der Stadt. Oder in der Flüchtlingsarbeit mit den Eritreern. Oder in Bibelkreisen, wo man gemeinsam über das Wort Gottes nachdenkt und spricht.

Viel bedeutet mir der Einkehrabend. Rund 15 oder 17 Leute kommen da monatlich in einer Wohnung zusammen, mehr passen kaum rein. Altersmäßig sind sie zwischen 30 und hoch in den Achtzigern. Das ist gut so. Nur immer in der eigenen Altersstufe zu sein, etwa als Senior, das ist zu wenig. Die Unterschiedlichkeit bereichert. Alle sagen Du zueinander, sind sozusagen auf gleicher Augenhöhe. Auch Neue und bis dahin Fremde sind schnell drin. Die Leute interessieren sich persönlich füreinander, das Private fließt immer ein. Wir sprechen dort über Gott und die Welt - oder über die Welt in ihrem Bezug zu Gott. Information und Glaubenszeugnisse mischen sich. Wir beten auch miteinander, feiern manchmal die Messe, essen manchmal zusammen. Viele sind in den Gemeinden aktiv. Bei diesen Abenden sind wir wirklich einfach Brüder und Schwestern - im Blick auf den Vater, der uns zusammenbringt.

Einen Wunsch, eine Hoffnung hätte ich noch: dass die Schwestern, die inzwischen ohnehin in den Gemeinden die Hauptarbeit tun, wirklich gleichgestellt sind. Die Tatsache, dass Jesus ein Mann war, heißt doch nicht, dass die Frauen ihn nicht amtlich-priesterlich repräsentieren könnten. Ich weiß, die Tradition wiegt schwer. Aber schwerer wiegt der Geist Jesu in den Evangelien. Und der hat das mit dem Heiligen Geist in Männern und Frauen sehr ernst gemeint.