Nicht Atlas, sondern Christus

Predigt am 09.07.2017

In der antiken Zeit erzählte man von einem Riesen. Der war von den Göttern dazu verurteilt worden, am Rand der Welt die Säulen zu tragen, auf denen das Himmelsgewölbe ruht. Diesen wirklich schwer eingespannten Riesen nannte man Atlas. Hätte er nur einen Augenblick losgelassen, dann wäre das ganze Firmament zusammengebrochen, dann wäre der Himmel auf die Erde gestürzt. So stand er nun da, jahraus, jahrein, und schulterte das Himmelsgewölbe.

Eine tragische und traurige Gestalt, dieser Atlas, der den Himmel tragen musste! Und mancher, der heute eine tragende Rolle spielt, mag sich auch so vorkommen: Ohne mich geht es nicht! Auf meinen Schultern ruht alles! Ohne mich würde der ganze Laden zusammenbrechen! Da mag anfangs viel Stolz mitschwingen, aber mehr und mehr wird dann die drückende Last empfunden:
Egal, ob Bundeskanzler, Bischof, Unternehmer - oder Mutter in einer Familie: Ruhe gibt es da selten, Zeit zum ruhigen Durchatmen ist knapp. Irgendeines der Kinder möchte immer etwas von der Mutter, im Büro klingelt ständig das Telefon, und jeder Händler weiß, dass die Konkurrenz nicht schläft.
Wer so eingespannt ist, so drin steckt in einer Menge von Aufgaben, Arbeiten und Prüfungen, - der mag sich in der mythischen Figur des Atlas wiederentdecken: Der ganze Himmel lastet auf mir!

Und nun das Wort Jesu: Kommt alle zu mir, die ihr euch müht und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen! Dieser Satz klingt tatsächlich wie eine Frohbotschaft, die man gern hört. Er passt gut an den Beginn der Schulferien: Ich werde euch Ruhe verschaffen!

Damals hörten diesen Satz vor allem die Armen, die kleinen Leute in Israel. Ihr Leben war mühsam und aufreibend. Schwere Lasten lagen auf den Schultern. Da war wenig mit Ruhe und gar nichts mit Ferien!

Ja, das Wort von der Ruhe und vom Aufatmen hören wir gern. Aber Jesus liefert uns kein Rezept, wie wir aus der dauernden Anspannung herauskommen können. Und er nimmt uns auch keine unserer Aufgaben ab. Das würden wir wohl auch gar nicht wollen! Welche Mutter würde wollen, dass die Kinder, die ihr zwischendurch ganz schön auf die Nerven gehen, gar nicht mehr da wären? Welcher Politiker möchte, dass sein Amt überflüssig wird? Welcher Kaufmann will denn schon, dass es in seinem Geschäft ganz ruhig ist und keiner was von ihm will?

Nein - wir wollen die Lasten des Lebens nicht loswerden. Aber sie sollen tragbar sein. Sie sollen uns nicht ständig unter Druck setzen. Sie sollen uns nicht dauernd überfordern.

Und dafür nennt uns Jesus nun tatsächlich so etwas wie ein Rezept: Schaut auf mich und lernt von mir. Denn ich bin gütig und von Herzen demütig! Das ist seine Antwort auf das nagende Gefühl, bis-zum-geht-nicht-mehr beladen zu sein. Schaut euch an, wie ich es gemacht habe! Lernt von mir, von meiner Demut! Oder, mit den Worten von Papst Franziskus: 2Seht die Barmherzigkeit als den Tragbalken, der euer Leben stützt!"

Demut - das kann man gewaltig missverstehen. Das klingt nach: alles schlucken, stillhalten, den unteren Weg gehen. Jesus meint dieses Wort aber anders. "Mut" steckt in diesem Wort. Mut zum Dienen. Mut, sich für etwas einzusetzen. Jesus hatte den Mut, einer gewaltigen Aufgabe zu dienen. Er selbst hatte sich dazu entschlossen, diese Aufgabe zu übernehmen. Und das ist der Hauptunterschied zu der Gestalt des Atlas. Atlas musste die Säulen tragen, ob er wollte oder nicht. Jesus wollte es, er war überzeugt von seiner Sendung, und so hatte er - in seiner Nähe zum Vater - die Kraft, Großes zu tragen.

Wenn wir Menschen wissen, warum wir etwas tun - wenn wir spüren, dass es sinnvoll und notwendig ist, - dann sind wir zu Großem fähig. Dann brennen wir nicht so schnell aus. Schwierig wird es, wenn wir diese Vision im Trubel und in der Hektik des Alltags mehr und mehr vergessen.

Deshalb sieht manches, was uns so schwer von der Hand geht, schon wieder ganz anders aus, wenn wir es hin und wieder mit etwas Abstand erleben und betrachten. Wenn die Kinder einmal ein paar Tage aus dem Haus sind, dann weiß eine Mutter oft sehr schnell wieder darum, dass sie diese Kinder um nichts in der Welt wirklich missen möchte.

Manchmal brauchen wir solchen Abstand. Abstand zu den Menschen um uns herum. Abstand zum Beruf und zur Arbeit und zum Alltag. Abstand, um zur Ruhe zu kommen. Abstand, um wieder klar zu haben, was mir wichtig ist. Nicht umsonst legt die Bibel uns den Ruhetag, den Sabbat, den Sonntag, so sehr ans Herz. Religion hat zu tun mit Unterbrechung: raus aus dem Alltag, der oft wie ein Hamsterrad ist. Raus aus der Selbst-Überschätzung, es hinge alles von mir ab. Raus aus dem reinen Leistungsdenken! Religion und Urlaub, Ferien ziehen da kräftig am selben Strick. Ich will euch erquicken - die alte Übersetzung unseres Satzes. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Innere Ruhe, die von Angst und Druck befreit - die Kraft zum Leben schenkt.

Gehen wir also am Atlas vorbei, der die schwere Last als Strafe tragen musste und aus der Tretmühle nicht herauskommt. Gehen wir zu Christus, der freiwillig und mutig einer Vision dient, einer höchst sinnvollen, notwendigen, befreienden Vision - dem Reich Gottes.