Thomas-Christen

Predigt 23.04.2017

Hier und da gibt es in größeren Städten, vor allem in evangelischen Kirchen, sogenannte Thomas-Messen. Sie verstehen sich, so heißt es in der Werbung, als "Gottesdienst für Ungläubige, Zweifler und andere gute Christen". Sie wenden sich an Menschen, die nicht mehr in eine "normale Messe" gehen wie wir hier.

Heißt das: Es gibt bei uns keine Zweifler? Es gibt bei uns nur Christen, die fest und unerschütterlich im Glauben stehen?
Ich denke, nicht. Auch unsere "normalen Messen" sind Thomas-Messen, für Menschen, die sich im Apostel Thomas, dem "ungläubigen Thomas", wiedererkennen. Ein bisschen Unrecht tut man ihm mit solchen Formulierungen, dem Thomas. Ungläubig? Das waren die anderen Apostel dann wohl auch! In den Ostertexten wird ihre Skepsis nicht verschwiegen. Erst hielten sie die Botschaft von der Auferstehung für Geschwätz, für abergläubisches Gerede, und Petrus war verwundert und bestürzt und noch lange nicht gläubig angesichts des leeren Grabes. Wie denn auch anders? Ich wünsche mir geradezu dieses Erstaunen und diese Verwunderung zurück - wie glatt und selbstverständlich geht uns die unglaubliche Botschaft über die Lippen.

Nun, was war denn anders mit dem Thomas im Vergleich zu den anderen Aposteln? Es heißt: Er war nicht dabei. Er hatte verpasst, dass Jesus den anderen schon erschienen war. Er war draußen. Die neue umwerfende Ostererfahrung hatte er nicht mitgekriegt. Er steht allein auf weiter Flur und nicht im Prozess des langsamen Bewusstwerdens, was da an Umwerfendem geschehen war. Vielleicht will die Bibel damit sagen, dass Glauben die anderen braucht. Dass man miteinander eine Erfahrung und dann eine Überzeugung teilt. Dass es sehr schwer ist, "von außen" aus zu glauben.

Auch wir haben den Glauben in der Regel nicht im Alleingang gelernt, sondern im Mit-Leben: durch das Beispiel der Eltern oder Großeltern, durch die Mitfeier der Feste und der Liturgie, durch Gespräche und Begegnungen - also durch ein vielfältiges, uns nicht immer so ganz bewusstes Miteinander. Ohne dieses große Miteinander, das wir Kirche nennen, kann ich mir Glauben nicht vorstellen. Die kirchenkritische Formel von einst: "Glauben ja – Kirche nein!" scheint mir voll daneben. Da wird ignoriert, dass der Glaube nicht wie Regen vom Himmel fällt, sondern mit Menschen eingeübt und gelebt wird. Und darum ist es gut, jetzt in dieser Messe ein Kind zu taufen und es mithinein zu nehmen in den Glauben der Christen und in das Miteinander der Kirche.

Großes Miteinander, so erscheint mir die Kirche. "Groß" nicht darum, weil weltweit so viele Menschen zu ihr gehören, mehr als eine Milliarde. Zwei oder drei würden schon reichen fürs große Miteinander! Hauptsache: Jesus ist dabei. Das macht die Sache groß. Er hat es ja so gesagt: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen! Und das ist nun die neue Erfahrung von Ostern, bei der Thomas noch nicht dabei und draußen war: Jesus ist dabei. Er ist nicht tot. Er lebt. Wir sind ihm begegnet.

Unser Miteinander umfasst also nicht nur die anderen Christen in Lüdenscheid und sonst wo, die zur Messe kommen oder die sich gesellig treffen. Dann wären wir immer allein mit unseresgleichen - ohne eine Kraft, einen Geist, der von woanders her kommt und uns übersteigt, der Gott in unserer Mitte wohnen lässt. Jesus Christus ist dabei, so sagt die Osterfahrung. Er ist der Mitgeher im großen Miteinander. Er ist die Seele des Ganzen. Ohne ihn wären wir allenfalls ein sozialer Verein mit Traditionspflege. Ihm zu begegnen, das heißt: ein Christ sein.

Mit Begegnungen ist es nun nicht immer gleich. Mal springen Funken über, mal bleibt alles Routine, und das Herz wird nicht warm. So geht es uns auch mit Jesus. So geht es uns mit dem Glauben.

Der Glaube ist heutzutage wohl nie ein fester sicherer Besitz. Keine Schatztruhe, die man nur einfach aufbewahrt und so an seine Kinder vererben kann! Wie einfach wäre das! Der Glaube kennt Phasen, wie die Liebe, kennt gute und schlechte Zeiten. Mal sprühen die Funken wie beim verliebt sein. Mal sprüht und sprudelt und springt gar nichts über. Mal geht der Glaube einen ruhigen Gang, mal sitzt er in der Krise, in abgrundtiefen Nöten und Fragen. Der Glaube wächst und verändert sich, so erzählen die biblischen Gleichnisse. Er ist ein Prozess. Er bleibt nicht stehen, auf Standpunkten, im Stillstand. Er ist unterwegs. Das Schritttempo gibt das Leben vor, unsere ganz persönlichen Erfahrungen.

Unterwegs sein kann mühsam sein. Die "Füße qualmen", die Beine tun weh, das Herz sticht, wir "kommen aus der Puste". Der Glaube unterwegs hat auch seine Wachstumsbeschwerden. Sie wirken manchmal wie Zweifel und Skepsis, und mit schlechtem Gewissen halten wir sie für "Unglauben". Oft sind es einseitige und schiefe Vorstellungen vom Glauben, die wir dann ablehnen, etwa die Vorstellung: Auferstehung hieße, Jesus kehrt ins alte Leben zurück. Aber gemach: Das alles gehört zu den Mühen des Unterwegsseins. Erst am Ziel können wir aufatmen.

Deswegen kann es nicht hier die Zweifler und Skeptiker und ungläubigen Thomasse geben und dort die "guten Christen". In jedem ehrlich Glaubenden mischen sich Glaube und Unglaube, Zweifel und Zuversicht. So wie der Vater eines kranken Kindes im Evangelium ausruft: "Herr, ich glaube – hilf meinem Unglauben!" Dieser Vater ist mir nicht fremd - und auch nicht der Thomas! Sie sagen mir: Es ist ein weiter Weg zum Ziel. Aber Jesus geht mit auf diesem oft mühsamen Weg. Wir gehen nicht allein. Und das ist die Hauptsache.